Welchen Aussagewert hat ein Arbeitszeugnis?

Die AGV-Rechtstipps

03.07.2017

Jeder Arbeitnehmer hat bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf ein Zeugnis. Bei der Ausstellung des Arbeitszeugnisses hat der Arbeitgeber zwar die sogenannte Formulierungshoheit, der Beurteilungsspielraum wird jedoch durch die Rechtsprechung begrenzt. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer ein wohlwollendes, dem Fortkommen dienliches Zeugnis auszustellen. Unjuristisch heißt dies, dass der Arbeitgeber die Leistungen des Arbeitnehmers besser bewerten muss, als sie tatsächlich waren. Die sogenannte Zeugniswahrheit kann daher tatsächlich nicht kompromisslos umgesetzt werden. Der Arbeitgeber ist u.a. aus seiner Sicht zur Unwahrheit verpflichtet.

 

Schwer zu beweisen

In leider weit verbreiteten Zeugnisberichtigungsprozessen hängen die Erfolgsaussichten in der Regel von der Darlegungs- und Beweislast ab: Der Arbeitnehmer muss darlegen und beweisen, dass er überdurchschnittlich (besser als 3) war. Der Arbeitgeber muss darlegen und beweisen, dass der Arbeitnehmer eine unterdurchschnittliche Leistung (schlechter als 3) erbracht hat. Die Praxis zeigt, dass hier die Messlatte des Gerichts sehr hoch hängt und der Arbeitnehmer oft eine überdurchschnittliche Leistung nicht beweisen kann. Das Gleiche gilt allerdings für den Arbeitgeber, der sich auf eine unterdurchschnittliche Leistung beruft.

 

Oft wird sehr gutes Zeugnis gefordert

In der gerichtlichen Praxis wird vom Kläger in einem Kündigungsschutzprozess oft ein sehr gutes Zeugnis gefordert. Der Arbeitgeber geht in der Regel auf diese Forderung ein, um den Kündigungsschutzprozess zu beenden. Ein eventuell neuer Arbeitgeber kann sich daher nicht auf den Zeugnisinhalt des alten Arbeitgebers verlassen. Viele Arbeitgeber haben Angst von einem neuen Arbeitgeber in Regress genommen zu werden, wenn sie einem Arbeitnehmer ein zu gutes Zeugnis zu Unrecht ausstellen. Zwar kann theoretisch der neue Arbeitgeber den alten Arbeitgeber gem. § 826 BGB (Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) belangen. In der Regel dürfte es jedoch kein Schädigungsvorsatz des alten Arbeitgebers geben. Ich habe in meiner langjährigen Praxis noch nie einen solchen Fall erlebt.

 

Zum Hörer greifen?

Ein mittlerweile pensionierter Richter des Arbeitsgerichts Braunschweig hat einmal gesagt, dass das Wichtigste die Telefonnummer des alten Arbeitgebers auf einem Zeugnis sei. Hier ist m.E. Vorsicht geboten. Der alte Arbeitgeber macht sich u.U. schadensersatzpflichtig gegenüber seinem ehemaligen Arbeitnehmer, wenn er dem neuen Arbeitgeber „die Wahrheit“ über seinen ehemaligen Arbeitnehmer erzählt. Hier sollte sich der alte Arbeitgeber auf die Fakten berufen und ggf. lediglich ausführen, dass die Zeugnisbeurteilung in einem Vergleich zustande gekommen ist. Der neue Arbeitgeber kann sich dann an drei Fingern abzählen, wie gut sein neuer Mitarbeiter tatsächlich war.

 

Ihr Jörn Langelotz