Wegbereiter für Studienzweifelnde und Studienabbrechende in der Region
Erfolg im Berufsleben ist auch ohne Studium möglich. Das beweisen nicht zuletzt prominente Studienabbrechende wie Günther Jauch, Alice Schwarzer, Anke Engelke oder Steve Jobs. Doch was tun, wenn Selbstzweifel und Überforderung einsetzen? Wo gibt es Anlaufstellen, wenn tatsächlich der Entschluss reift, einen Schlussstrich zu ziehen? Das Projekt „Wegbereiter“ bietet seit August 2016 eine ergebnisoffene und kostenlose Beratung speziell für diese Zielgruppen an den vier Hochschulen in der Region Süd-Ost-Niedersachsen an (Technische Universität Clausthal, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, TU Braunschweig und HBK Braunschweig). Ratsuchende können gemeinsam mit dem Projektteam ihren Studienverlauf sowie ihre beruflichen Ziele reflektieren und sich über alternative Bildungswege fernab vom Studium informieren.
„Perspektiven trotz Studienabbruch“
Bedingt durch den drohenden Fachkräftemangel und bereits existente Engpässe bei der Besetzung von Ausbildungsstellen, sind die Studienabbrechenden auch durchaus für Unternehmen interessant. „Da aktuell sehr viele Abiturienten direkt nach der Schule ein Studium aufnehmen, gewinnt diese Zielgruppe unter den Bewerberinnen und Bewerbern – insbesondere auch unter Berücksichtigung des demografischen Wandels – zunehmend an Bedeutung“, bestätigt Andreas Kühne, zuständiger Mitarbeiter für den Bereich Ausbildung der NORD/LB in Braunschweig. Dennoch ist der Studienabbruch laut Marcus Voitel, Projektleiter von „Wegbereiter“, sowohl in der Wahrnehmung der Studierenden als auch im öffentlichen Raum immer noch ein großes Tabu-Thema. „Die Entscheidung für den Studienabbruch fällt bei den meisten schon in den ersten Semestern, aber viele der Zweifelnden kommen erst gegen Ende ihres Bachelors oder sogar im Masterstudium in die Beratungsstelle“, berichtet Voitel. „Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich die meisten Studierenden im Zwiespalt zwischen unterschiedlichen Erwartungshaltungen befinden und Sorge haben, nicht nur sich selbst zu enttäuschen, wenn sie im Studium scheitern. Der Rechtfertigungsdruck ist hoch, und bringt nicht selten auch finanzielle Probleme mit sich“, führt er weiter aus. Laut einer Anfang Juni veröffentlichten Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) liegt die Studienabbruchquote an deutschen Hochschulen im Bachelorbereich bundesweit bei etwa 29 Prozent. In den ingenieur- und naturwissenschaftlichen Fächern orientieren sich weitaus mehr Studierende um; so lag die Abbruchquote an den Universitäten in der Elektrotechnik und in der Informatik zuletzt bei 45 Prozent, in der Mathematik sogar bei 51 Prozent.
Schnittstelle zwischen Hochschule und Wirtschaft
Das Projekt „Wegbereiter“ bildet die Schnittstelle zwischen Hochschule und Wirtschaft. Das dreiköpfige Team, neben Marcus Voitel bestehend aus Inga Möller und Johanna Kuchling, arbeitet „Hand in Hand“ mit vorhandenen hochschulischen Beratungs- und Hilfsangeboten zusammen und hat darüber hinaus ein großes, teils auch überregionales Netzwerk aus außerhochschulischen Kontakten, an die es die Ratsuchenden auf Wunsch weiterleitet: In Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit Braunschweig-Goslar, dem Arbeitgeberverband Region Braunschweig e.V., dem Arbeitgeberverband Region Harz e.V., der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, der Industrie- und Handelskammer Braunschweig, der Technikakademie der Stadt Braunschweig und weiteren Netzwerkpartnern, werden mit den Ratsuchenden in mehreren Sitzungen konkrete Lösungen und berufliche Perspektiven erarbeitet. „Wegbereiter“ wird für zwei Jahre vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und Landesmitteln gefördert. Bis dahin ist es ein Hauptziel, das Netzwerk der genannten Partner noch stärker untereinander zu verzahnen und darüber hinaus Unternehmen für die Zielgruppe der Studienabbrechenden zu gewinnen. Das Beratungsteam kann so auf der Grundlage von Firmenprofilen und möglichen Überbrückungsangeboten einen Kontakt zwischen Unternehmen und Studienabbrechenden herstellen.
Vorteile in der Arbeit mit Studienabbrechenden
Nicht nur für die Studienabbrechenden wird durch die Beratung bei Wegbereiter der „Übergang von der Hochschule in sinnvolle Alternativen auf dem Arbeitsmarkt“ erleichtert, wie Andreas Kühne von der NORD/LB es formuliert. Erste Kontakte zu regionalen Arbeitgebern, wie der NORD/LB und dem Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST bestehen bereits. Vor allem für die Unternehmen ergeben sich bei der Einstellung von Studienabbrechenden Vorteile. „Studienabbrechende verfügen oft bereits über einige praktische Erfahrungen und theoretische Kenntnisse aus ihrem technischen Studium. Das ermöglicht uns, bei entsprechenden Leistungen in Berufsschule und Institut, die Ausbildungszeit auf zwei Jahre zu verkürzen und die Auszubildenden früher in laufende Forschungsprojekte zu integrieren“, sagt Sven Pleger, der am Fraunhofer IST zuständig für die Ausbildung der Physiklaboranten ist. Die Einstellung von Studienabbrechenden seien bisher zwar Einzelfälle, die gemachten Erfahrungen waren jedoch positiv: „Wir haben engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewonnen, die verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen.“ Auch die NORD/LB schätzt vor allem das große Engagement und die hohe Leistungsbereitschaft der Studienabbrechenden. „Aufgrund der vorhandenen Erfahrungen aus dem Studium verfügen sie über ein hohes Reflektionsvermögen, eine ausgeprägte persönliche Reife und bereichern somit die ‚Diversity‘ unserer Auszubildenden“, erklärt Andreas Kühne. Für Alexander von Lützow, Geschäftsführungsvertreter und Prokurist der Teutloff Akademie, stellt „die Zielgruppe der Studienabbrechenden insbesondere in den MINT-Bereichen aus Unternehmenssicht ein potenzielles Reservoir von zu qualifizierenden künftigen Fachkräften dar, auf das die Unternehmen zukünftig vor dem Hintergrund des zunehmend spürbaren demografisch getriebenen Fachkräftemangels nicht verzichten können.“ Er hält „eine Verschwendung der Talente“ gar für „irrational“, da „die Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft an den durch zunehmende Veränderungen gekennzeichneten technologischen Wandel“ auf solche Fachkräfte angewiesen sei. Von Lützow sieht den Vorteil in der Zusammenarbeit mit „Wegbereiter“ vor allem darin, dass das Projekt als zentrale Anlaufstelle agiert: „Die Projektmitarbeiterinnen und –mitarbeiter und die beteiligten Netzwerkpartner stehen mit Rat und Tat zur Verfügung und schaffen so für die Zielgruppe, die z.T. durch negative Lernerlebnisse geprägt ist, eine neue berufliche Orientierung und Lebensperspektive“.
von Johanna Kuchling
Kontakt: Technische Universität Braunschweig Institut für Sozialwissenschaften
Bienroder Weg 97 38106 Braunschweig, Tel.: 0531 391-8944, E-Mail: m.voitel@tu-braunschweig.de, inga.moeller@tu-braunschweig.de, j.kuchling@tu.braunschweig.de http://www.tu-braunschweig.de/wegbereiter-studienabbruch