Wie verändert die Corona-Krise die tagtägliche Arbeit? Was macht eine solche Krise psychisch mit uns Menschen? Was können wir tun und was sollten wir lassen, um gut durch die Krise zu kommen und weiterhin produktiv zu arbeiten?
Der Ausnahmezustand, der aufgrund des Corona-Virus durch die Entscheidungen politischer Akteure erzeugt wurde, indem das erlassene Distanzgebot in kürzester Zeit nahezu sämtliche soziale Routinen unterbrach, setzt den Normalbetrieb in den Unternehmen und im Lebensalltag weitestgehend außer Kraft.
Machen Sie sich klar: auch Sie sind im Umgang mit Ungewissheit ungeübt. Der bestehende Ausnahmezustand löst in den meisten Menschen Unsicherheits- und Hilflosigkeitsgefühle aus, ggf. gepaart mit dem Eindruck existenzieller Bedrohung. Im Umgang mit Ungewissheit sind die meisten von uns nicht sonderlich geübt und auch in dieser Krise, ähnlich wie in der Finanzkrise 2009 oder der Flüchtlingskrise 2015, legen die politischen Akteure viel Wert auf die Darstellung, alles im Griff zu haben, damit in der Bevölkerung keine Zweifel aufkommen. Schließlich sind die Reaktionsweisen auf solche Zweifel ebenfalls ungewiss. Typische emotionale Reaktionsweisen sind Angst, Abwehr, Wut und Traurigkeit/Sorge. Menschen wollen möglichst schnell den Zustand der Ungewissheit verlassen. Gerade die Geduld, die notwendige Toleranz und Akzeptanz einer solch unsicheren Lage über einen längeren Zeitraum beansprucht viele Menschen aktuell sehr. Man fühlt sich quasi in einer Warteschleife und es scheint unklar, wann sie beendet sein wird.
Gleichzeitig wird der Bewegungsradius eingeschränkt. Was bleibt sind die „eigenen 4 Wände“ und viel Kommunikation und Kooperation auf Distanz. Menschen, die vorher vielleicht einige Stunden am Tag miteinander verbrachten, befinden sich nun fast 24 Stunden unter einem Dach. Glücklicherweise wurde bislang keine Ausgangssperre verhängt und das gegenwärtige Frühlingswetter schafft zusätzliche Erleichterung „in Freiheit“.
Ermöglichen Sie Menschen Handlungsfähigkeit zu beweisen und Probleme möglichst selbstständig zu lösen. Diese Zeiten erfordern neue Problemlösungen, z.B. den Einsatz von Tools zur virtuellen Kommunikation und Kooperation. Die Furcht vor Ansteckung bei dem gleichzeitigen Wunsch nach Nähe, Verbundenheit und Eingebundensein lässt diese Tools jetzt schnelle Verbreitung finden. Das Erproben dieser Tools scheint viel müheloser zu gelingen als unter Normalbetrieb. Gleichzeitig zeigt es Handlungsfähigkeit der Beteiligten. Das Telefonieren, gerne ergänzt durch Videostreaming, erlebt eine Renaissance und mag aktiv gefördert werden. Wo vorher Textnachrichten dominierten, will Mensch jetzt die Stimme seines Gegenübers hören und sein Gesicht sehen.
Ermutigen Sie zu flexiblen Lösungen. Problemlöser sind wie immer gefragt und werden auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen. Schließlich entscheiden nicht formelle Hierarchien mit dem damit häufig verbundenen Statusdenken über den Unternehmenserfolg, sondern persönliche Kompetenzen. Inwieweit kann jemand gerade in dieser Krise effektiv auf die jeweils als wichtig erachteten Dinge einwirken und entsprechend gewünschte wertschöpfende Resultate erzielen?
Schenken Sie Vertrauen. Vertrauen ist das Phänomen, das in Situationen mit risikohaftem Ausgang wesentlich ist, weil es die Komplexität ungewisser Situationen reduzieren hilft. Wer sich einer Sache sicher ist, muss nicht vertrauen. Die Vertrauensgrundlage, die vor der Krise aufgebaut wurde, kommt jetzt zur Auszahlung. Spürbares Vertrauen zwischen Kolleg*innen auf Distanz, zwischen Führungskräften und Mitarbeiter*innen ist notwendig, um sich in dieser Krise untereinander „echt“ und somit verletzlicher zu zeigen als unter Normalbedingungen. Zusätzlich bekommen Menschen durch Video-Konferenzen auch Einblicke in die privaten Räume der Kolleg*innen – das verbindet. Das Private kann weniger “versteckt” werden, schon allein, weil häufiger Kinder durchs Bild laufen.
Sprechen Sie Ihre Dankbarkeit aus. Einerseits entsteht Dankbarkeit dafür, dass Home-Office und damit die Kinderbetreuung möglich ist, Dankbarkeit auch für die Möglichkeit, durch Kurzarbeit Arbeitsplätze zu erhalten, einen wesentlichen Teil des Einkommens und darüber die Existenz des Unternehmens zu sichern. Kommunizieren Sie deutlich mehr als im Normalzustand. Was erwarten Menschen grundsätzlich von guter Führung und Zusammenarbeit? In Krisenzeiten will Mensch häufiger über die Lage informiert werden, möchte Gewissheit über die kurz- und mittelfristigen Perspektiven des Unternehmens. Unter Stress und auf Distanz können latente Konflikte noch deutlicher zu Tage treten. Die Chance besteht darin, Konflikte und Missstände mit Blick auf Führung und Zusammenarbeit, die meist lange vor der Krise entstanden, bereits telefonisch zur Sprache zu bringen und nach der Krise im persönlichen Kontakt nachhaltig zu bewältigen.
Gleichzeitig entstehen neue Spannungsfelder. Unternehmer in der Dienstleistungsbranche fragen sich vielleicht: Warum haben wir eigentlich so teure Büros, wenn es doch auch so läuft? Führungskräfte fragen sich: Wozu bin ich in meiner Rolle als Führungskraft konkret nützlich, wenn sich meine Mitarbeiter*innen jetzt selbst organisieren? Stärken Sie wertschöpfende Arbeit und reduzieren Sie sinnlose Beschäftigung. Falls offensichtlich ist, dass ein Großteil der wertschöpfenden Arbeit aktuell wegfällt, melden Sie unmittelbar Kurzarbeit an. Darüber hinaus besteht jetzt die Möglichkeit, dass viele sinnlose Beschäftigungen für immer abgeschafft werden könnten oder die Menschen zumindest über Alternativen nachdenken, z.B. für oberflächliche Routinemeetings, zentralistische Entscheidungsregeln und Verkündungsrituale, langwierige Unterschriftenregelungen, fixierte Zielvereinbarungen, einzuhaltende Dienst- und Eskalationswege oder auch starre interne Regelungen und Kontrollen der Arbeitszeiten.
Schaffen Sie in sich mehr Klarheit, was Ihnen im Leben wirklich, wirklich wichtig ist. Viele Menschen entdecken in der Krise, was Ihnen im Leben wirklich, wirklich wichtig ist – was sie essentiell brauchen und auf was sie auch, falls notwendig, verzichten können. All dies kann zu einer Neubewertung von Arbeit im Allgemeinen führen, falls die Corona-Krise noch einige Monate anhält. Nehmen Sie sich in einer Retrospektive nach der Krise gemeinsam die Zeit, folgende Schlüsselfragen zu beantworten:
Wie sehr liebe ich das, was ich hier Tag für Tag mache und warum?
Warum möchte ich unbedingt Teil dieser Gemeinschaft sein und bleiben?
Wie entfaltet unser Unternehmen seine Potenziale am besten?
Wie sinnvoll und notwendig ist das, was wir hier machen wirklich – für unseren Kunden, für unsere Noch-nicht-Kunden und für die Gemeinschaft insgesamt?
Was lernen wir aus dieser Krise? Was werden wir ab jetzt beibehalten, was weniger, was mehr tun?
Nachtrag
Wir hatten bei PE-Solution Anfang Februar 2020, also vor Ausbruch der Corona-Krise in Europa, ein Kernteammeeting zu der Frage „Wo wollen wir hin und was macht uns aus?“ Anlass war unser 20jähriges Bestehen als psychologische Unternehmensberatung. Das Meeting wurde von Britta Mutzke begleitet und der Austausch in Bildern visualisiert. Ein Ergebnis sind diese beiden Wimmelbilder.
Ziel war es, diese Bilder unseren Gästen auf der 20-Jahrfeier zu präsentieren. Unsere Feier am 20.03.2020 fiel schließlich der Corona-Krise zum Opfer. Die Bilder gefallen uns dennoch auch unabhängig von Ihrem anvisierten Zweck sehr: zur Reflexion und als Wegweiser für unseren weiteren Weg. Werfen Sie gerne mal einen Blick drauf. Es gibt viel zu entdecken.
Ein Beitrag von Dr. Andreas Selck | Geschäftsführender Partner, Diplom-Psychologe
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