Rund 150 Gäste waren am Abend in die Welfenakademie gekommen, um einer besonderen Kooperationsveranstaltung beizuwohnen: Der Arbeitgeberverband Region Braunschweig eröffnete gemeinsam mit dem Braunschweiger Zeitungsverlag eine von der INSM initiierte Karikaturenausstellung unter dem Titel: „70 Jahre danach – die Erfolgsstory der Sozialen Marktwirtschaft im Spiegel der Karikatur“. Unter dem Titel: „Demographie, Wirtschaft und Soziales: Wohin geht der Weg?“ hielt INSM-Botschafter Prof. Bernd Raffelhüschen die Keynote an diesem Premierenabend, bei dem drei Leser der BZ außerdem Karikaturen gewannen, die am Abend überreicht wurden.
Eine Besondere Ausstellung
Die Begrüßung übernahmen Jens Bölscher, Geschäftsführer Welfenakademie, Florian Bernschneider, Hauptgeschäftsführer Arbeitgeberverband Region Braunschweig e.V. und Armin Maus, Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung. „Es ist eine besondere Ausstellung, die eine besondere Perspektive einnimmt“, so Florian Bernschneider in seiner Einführung. Die Ausstellung zeigt Werke aus sieben Jahrzehnten und lädt die Besucher in den nächten 6 Wochen (wochentags zwischen 8 Uhr und 18 Uhr) dazu ein, bunte Politikmomente der deutschen Wirtschaftsgeschichte zu betrachten. Bernschneider machte in seiner Begrüßung deutlich, dass es sich gerade in diesen Tagen lohnt, einen Blick auf die Deutsche Wirtschaftsgeschichte und vor allem unser Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft zu werfen:“Wir werden in unserer Region in den nächsten zehn Jahren große Transformationsprozesse in der Wirtschaft erleben. Gerade jetzt sollten wir also hinterfragen, wie wir diese Veränderungen auf unser Wertefundament der Sozialen Marktwirtschaft gestalten.“ Dabei gäbe es auch heute schon Entwicklungen, die man hinterfragen sollte. Als Beispiele nannte der AGV-Hauptgeschäftsführer den Wettbewerb zwischen Megaunternehmen wie Google, Apple und Amazon und mittelständischen Betrieben. Hier müsse man dringend hinterfragen, ob es eigentlich fair sei, dass diese Digitalisierungsriesen eine weit geringere Steuerlast tragen. Dass das Freihandelsabkommen mit den USA nicht zustande kam bezeichnete Bernschneider deswegen als eine große verpasste Chance. „Hier hatten wir die Chance, Spielregeln für eine globale Soziale Marktwirtschaft zu setzen und haben uns von wenig differenziertem Gerede über Chlorhühnchen und Schiedsgerichte abgewendet.“
„Kritischer Freund der Sozialen Marktwirtschaft sein“
Auch BZ-Chefredakteur Armin Maus ging auf das Wertefundament der Sozialen Marktwirtschaft ein, dass sich als kluger Mittelweg zwischen Manchesterkapitalismus und sozialistitischer Planwirtschaft schon rein geschichtlich als beste aller Alternativen herausgebildet hat. Trotzdem sei unsere Rolle im besten Sinne ein „kritischer Freund“ der Sozialen Marktwirtschaft zu sein. Die Stärke der Sozialen Marktwirtschaft sei schließlich nicht zuletzt der ständige Interessensausgleich innerhalb unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Dafür seien Kontorversen und Diskussionen notwendig, weswegen Armin Maus sich sehr über die Zusage von Prof. Raffelhüschen gefreut habe. Er sei ein Garant für klare Kante und Kontroverse.
„Es wird zu viel genörgelt“
Dieser Einleitung wurde Raffelhüschen auch gleich gerecht und machte schon zum Einstieg seines Vortrags deutlich: „Es wird viel zu viel genörgelt.“ Ein Blick in die Statistik würde zeigen, dass es uns so gut ginge wie noch nie. Es sei kein Gut vorhanden, für das ein Durchschnittsverdiener heute länger arbeiten müsse als in den sechziger Jahren. Selbst die Wohnkosten, über die derzeit viel diskutiert würde, seien im Vergleich der letzten 30 Jahre auf einem Tiefpunkt. Noch nie musste man so wenig seines Einkommens für Wohnraum ausgeben wie heute. „Für Ihren Fernseher geben Sie noch sieben Prozent von dem aus, was wir in den sechziger Jahren ausgegeben haben“, rechnete er vor und machte klar: „Ja – wir haben heute die reichsten Reichen aller Zeiten. Aber wir haben auch die reichsten Armen aller Zeiten, die reichsten Lehrer, die reichsten Journalisten, die reichsten Unternehmer…“ Das alles habe man der Sozialen Marktwirtschaft zu verdanken und das sollte aus seiner Sicht auch nicht vergessen werden. Das wahre Armutsproblem liege bei Kindern, unqualifizierten Jugendlichen und alleinerziehenden Müttern. Altersarmut werde vor 2030 kein Massenphänomen werden, so der Experte. Auch zur Demografie hatte er Thesen parat.
Viel versäumt?
Gewohnt pointiert und witzig führte er die Gäste durch durchaus harte Kost der Statistik. „Leider sind die Jungen genau solche Rohrkrepierer wie meine Generation, es wurden schlicht und ergreifend zu wenig Kinder gezeugt und diese Auswirkungen sind nicht mehr auszugleichen.“ Natürlich werde es zu wenig Erwerbstätige und zu viele Rentner geben, daran sei nun einmal nichts mehr zu ändern. Mit der momentanen Zuwanderung könne man dieses Problem nicht lösen, dafür seien die Neubürger bereits zu alt und hätten nicht die benötigten Qualifikationen. Die Panikmache rund um das Thema Zuwanderung könne er aber trotzdem nicht nachvollziehen. „Wir wussten statistisch gesehen, dass es Zuwanderung geben wird, weil es schon immer Zuwanderung und Abwanderung in Deutschland gab. Ich garantiere Ihnen: Der Zustrom nimmt auch wieder ab und er wird dann irgendwann auch wieder zunehmen.“
Er vertrat die Auffassung, dass das Gemeinschaftssystem bei der Rente, Pflege oder der gesetzlichen Krankenversicherung an seine Grenze stößt. Zuallererst müsse sich die Babyboomer-Generation der 50er und 60er Jahre die Frage gefallen lassen, wie sie die selbstverschuldete Demografie-Krise abfedern wolle. Rente mit 63 und Mütterrente seien wahnwitzige Geschenke der Politik, die das Problem weiter verschärften ohne dabei Gerechtigkeit zu schaffen. Poinitiert machte Raffelhüschen darauf aufmerksam, dass beispielsweise von der Rente mit 63 jene profitierten, die es am wenigsten bräuchten: „Frauen bekommen sie nicht wegen der Erziehungszeiten. Hart arbeitende Berufe auf dem Bau bekommen sie nicht wegen saisonaler Beschäftigungsunterbrechungen…“ zählte er die Gruppen auf, um klar zu machen: „übrig bleiben eigentlich nur hochbezahlte Industriearbeiter bei VW, Daimler und Bosch, die neben hohen gesetzlichen Rentenansprüchen auch eine sehr gute betriebliche Altersvorsorge genießen.“ Sein Plädolyer sei deswegen, die sozialen Sicherungssysteme endlich demografiefest und leistungsgerecht zu gestalten. Sozialer Ausgleich für die Schwächeren müsste dann über das Steuersystem finanziert werden, ansonsten zahlten die Jungen doppelt und dreifach für ein Problem, das sie nicht z verantworten hätten.
Die Ausstellung wurde zudem auch von Rolf „Luff“ Henn begleitet. Der bekannte und renommierte Karikaturist fertige noch vor Ort Einzelstücke für die Gäste an.
Über den Redner des Abends:
Bernd Raffelhüschen studierte in Kiel, Berlin und Aarhus (Dänemark) Volkswirtschaftslehre und promovierte bzw. habilitierte in diesem Fach an der Universität Kiel. Zahlreiche Auslandsaufenthalte führten ihn u.a. in die USA, aber auch immer wieder in die skandinavischen Länder. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Sozial- und Steuerpolitik, insbesondere der Alterssicherung, Gesundheitsökonomie und Pflegevorsorge. Neben seiner Mitwirkung an internationalen Forschungsprojekten beteiligt er sich – zum Beispiel als Mitglied der Rürup-Kommission, der Kommission Steuergesetzbuch oder als Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft – an Fragen der praktischen Sozialpolitik.