Begrenzung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch die sog. „Einheit des Verhinderungsfalls“

Arbeitsrecht

18.08.2023

Trotz der gesetzlichen Regelung, wonach Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für abhängig Beschäftigte durch Unternehmen (erst einmal) nur für einen Zeitraum von bis zu 6 Wochen geschuldet ist, kommt es vor, dass Unternehmen sich ununterbrochenen längeren Entgeltfortzahlungsansprüchen von Beschäftigten ausgesetzt sehen. Erkrankt der oder die Beschäftigte nämlich nachfolgend an einer anderen Krankheit und führt diese auch zur Arbeitsunfähigkeit, so ist für diese „neue“ Arbeitsunfähigkeit ggf. erneut Entgeltfortzahlung für einen weiteren Zeitraum von bis zu 6 Wochen geschuldet. Schließt sich noch eine weitere „neue“ Krankheit an, so beginnt auch für diese der Entgeltfortzahlungszeitraum erneut zu laufen, usw.. Das kann für Unternehmen zu wirtschaftlich sehr belastenden Ergebnissen führen. Besonders in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zwischen den verschiedenen Erkrankungen gar nicht zur Arbeit erscheint, bieten sich jedoch gute Chancen für das Unternehmen den Entgeltfortzahlungsanspruch letztlich auf bis zu 6 Wochen zu begrenzen.

Wenn abhängig Beschäftigte arbeitsunfähig erkranken, ist das für beide Seiten des Arbeitsverhältnisses i. d. R. zumindest unangenehm. Der oder die abhängig Beschäftigte ist krank, was für ihn oder sie lästig bis existenziell sein kann; hinzu tritt ggf. noch die Sorge um die Arbeit, die durch die eigene Arbeitsunfähigkeit „liegen“ bleibt und nach Rückkehr an den Arbeitsplatz ggf. „wartet“ oder durch Kolleginnen oder Kollegen während der krankheitsbedingten Abwesenheit mit erledigt werden muss. Die Vorgesetzten sind vielleicht in persönlicher Sorge um das gesundheitliche Wohl der erkrankten Person und haben vermutlich auch einen sorgenvollen Blick auf den krankheitsbedingten Ausfall der Arbeitskraft mit den damit typischerweise verbundenen betrieblichen Herausforderungen.

Sicherlich haben beide Seiten jedoch auch einen Blick auf die finanzielle Seite einer solchen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Die beschäftigte Person hat ein verständliches Interesse daran, trotz krankheitsbedingt nicht erbrachter Arbeitsleistung weiterhin ihr Leben finanzieren zu können; das Unternehmen ein verständliches Interesse daran, für nicht erbrachte Arbeit kein Entgelt zahlen zu müssen. Diese gegenläufigen Interessen versuchen u. a. das Entgeltfortzahlungsgesetz mit seinen Regelungen zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und das Sozialgesetzbuch V mit seinen Regelungen zum Krankengeld im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung in einen ausgewogenen Ausgleich zu bringen. Die Grundkonstellation dabei ist klar: Erst einmal muss das Unternehmen das Entgelt weiterzahlen, bevor dann ggf. die gesetzliche Krankenversicherung ab einem gewissen Zeitpunkt für einen gewissen Zeitraum die Zahlung von Krankengeld übernimmt. Während jedoch die Entgeltfortzahlung durch das Unternehmen im Wesentlichen dem vor der Arbeitsunfähigkeit bezogenen Entgelt entspricht, muss die arbeitsunfähig erkrankte beschäftigte Person beim Bezug von Krankengeld bereits (deutliche) finanzielle Einbußen hinnehmen.

Weitgehend bekannt sind die „gesetzlichen Normalzeiträume“, für die Entgeltfortzahlung bzw. Krankengeld gezahlt werden muss; nämlich (vereinfacht) bis zu 6 Wochen bei Entgeltfortzahlung und bis zu 18 Monate – abzüglich des Entgeltfortzahlungszeitraums – bei Zahlung des Krankengelds.

Entgeltfortzahlung

Auf beiden Seiten des Arbeitsverhältnisses ist i. d. R. zudem bekannt, dass es bei dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung „bis zur Dauer von sechs Wochen“ nicht in jedem Fall sein Bewenden hat. Denn es ist – mangels gesetzlicher Regelung über einen Betrachtungszeitraum, für den die bis zu sechswöchige Entgeltfortzahlungspflicht besteht und im Hinblick auf die Formulierung in § 3 Abs. 1 S. 2 Entgeltfortzahlungsgesetz, wo sich Voraussetzungen zur Begründung eines weiteren bis zu sechswöchigen Anspruchs auf Entgeltfortzahlung bei derselben wiederkehrenden Krankheit finden – allgemeine juristische Meinung, dass die bis zu sechswöchige gesetzliche Entgeltfortzahlungspflicht für jede einzelne Erkrankung gilt, sofern es sich dabei um jeweils unterschiedliche Erkrankungen handelt. Dieser Umstand kann dazu führen, dass ein Unternehmen manchmal an eine beschäftigte Person in einem Jahr, ggf. sogar auch Jahr für Jahr, Entgeltfortzahlung für Zeiträume zu leisten hat, die insgesamt deutlich länger als 6 Wochen sind; eben weil es sich um jeweils unterschiedliche Erkrankungen handelt, die zur Arbeitsunfähigkeit führen. Verständlicherweise ist dieser Umstand für ein Unternehmen – um es zurückhaltend auszudrücken – unerfreulich, weil hier zunehmend das einem Arbeitsverhältnis zu Grunde liegende Austauschverhältnis zwischen Entgelt und Arbeit zu Lasten des Unternehmens aus dem Lot gerät.

„Wechselnde Erkrankungen“

Ein solcher Sachverhalt verschärft sich aus Unternehmenssicht noch, wenn die beschäftigte Person zwischen den Zeiträumen verschiedener zur Arbeitsunfähigkeit führender Erkrankungen überhaupt nicht mehr zur Arbeit erscheint, weil sich eine Erkrankung „nahtlos“ an die nächste Erkrankung anschließt und es sich dabei um jeweils unterschiedliche Erkrankungen handelt. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, ist das Unternehmen ggf. über viele Monate hinweg zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Man spricht in solchen Situationen von sog. „wechselnden Erkrankungen“.

Eine solche Konstellation „wechselnder Erkrankungen“ kann in bestimmten Situationen Anlass geben den Beweiswert der entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als erschüttert anzusehen, insbesondere wenn diese wechselnden Erkrankungen von wechselnden Ärztinnen oder Ärzten festgestellt wurden; letzteres ist in Fällen von elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jedoch nicht mehr feststellbar, weil diese die ausstellende „Stelle“ nicht mehr erkennen lassen. Zudem führt eine in ihrem Beweiswert ggf. erschütterte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Fall einer arbeitsgerichtlichen Zahlungsklage auf (verweigerte) Entgeltfortzahlung zumeist zu einer zeugenschaftlichen Befragung des ausstellenden Arztes bzw. der ausstellenden Ärztin. In der Regel aber nicht zwingend immer – gelingt der auf Entgeltfortzahlung klagenden beschäftigten Person dann (doch) die Führung des Beweises, dass im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich Arbeitsunfähigkeit bestanden hat und deshalb ein Anspruch auf die vom Unternehmen verweigerte Entgeltfortzahlung besteht.

Anders hingegen ist die Darlegungs- und Beweissituation, wenn ein Sachverhalt „wechselnder Erkrankungen“ – also ein Sachverhalt, an dem sich eine Erkrankung nahtlos an die nächste (andersartige) Erkrankung anschließt und dadurch ein Zeitraum von 6 Wochen Entgeltfortzahlung „gesprengt“ wird – vorliegt und das Unternehmen sich nicht (nur) auf die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beruft, sondern insbesondere (auch) das Vorliegen der sog. „Einheit des Verhinderungsfalls“ behauptet. Was steckt dahinter?

„Einheit des Verhinderungsfalls“

„Nach dem Grundsatz der „Einheit des Verhinderungsfalls“ ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit auf die Dauer von sechs Wochen begrenzt, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.“; so die ständige Rechtsprechung des BAG (z. B. BAG, Urt. v. 11.12.2019, Az.: 5 AZR 505/18).

Bricht sich also z. B. die beschäftigte Person den linken Arm, was zu einer Arbeitsunfähigkeit von 4 Wochen führt, und einen Tag vor dem Ablauf dieser (ersten) vierwöchigen Arbeitsunfähigkeit ein Bein, was zu einer (weiteren) Arbeitsunfähigkeit von 6 Wochen führt, ist Entgeltfortzahlung „nur“ für einen Zeitraum von insgesamt 6 Wochen geschuldet, obwohl die Person rund 10 Wochen aufgrund unterschiedlicher Erkrankungen arbeitsunfähig war. Denn diese unterschiedlichen Erkrankungen gelten vereinfacht ausgedrückt als eine Krankheit i. S. d. Entgeltfortzahlungsgesetzes, weil sie sich zeitlich überschnitten haben; und sei es nur um einen Tag, ggf. sogar nur um wenige Stunden oder noch weniger.

Und diese „Einheit des Verhinderungsfalls“ lässt sich noch weiterdenken. Denn tritt bei der Person (kurz) vor Ablauf des zweiten Arbeitsunfähigkeitszeitraums eine weitere Krankheit auf, die zu einer weiteren Arbeitsunfähigkeit führt, ist auch diese neuerliche Arbeitsunfähigkeit für die Länge des Entgeltfortzahlungszeitraums ohne Belang; es verbleibt bei den 6 Wochen.

Aber woher weiß das Unternehmen, ob sich die verschiedenen Krankheiten zeitlich überschnitten haben? Dem Unternehmen ist durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen meistens nur bekannt, dass es sich um unterschiedliche Erkrankungen handelt (neue Erstbescheinigung), die sich i. d. R. laut den Datumsangaben auf den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zeitlich nicht überschneiden (z. B. Erst- oder Folgebescheinigung bis Dienstag und neue Erstbescheinigung ab Mittwoch; z. B. Erst- oder Folgebescheinigung bis Freitag und neue Erstbescheinigung ab Montag bei arbeitsfreiem Wochenende).

Hilfe durch die Rechtsprechung

Hier „hilft“ jedoch die Rechtsprechung, denn „Ein einheitlicher Verhinderungsfall ist regelmäßig hinreichend indiziert, wenn zwischen einer „ersten“ krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einer dem Arbeitnehmer im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierten weiteren Arbeitsunfähigkeit ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Hiervon ist auszugehen, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt.“; so die ständige Rechtsprechung des BAG (z. B. BAG, Urt. v. 11.12.2019, Az.: 5 AZR 505/18). In einer solchen Konstellation zeitlicher Nähe zwischen Krankheit 1 und Krankheit 2 ohne dazwischenliegende Arbeitsleistung der beschäftigten Person kann also erst einmal von einer „Einheit des Verhinderungsfalls“ ausgegangen werden.

Damit drängt sich die Frage auf, wie sich die beschäftigte Person in einer solchen Situation verhalten kann, um den von ihr behaupteten Entgeltfortzahlungsanspruch insgesamt mehr als 6 Wochen letztlich doch zu erhalten.

Insoweit kann erst einmal festgehalten werden, dass sich das Unternehmen auf eine seitens der Krankenkasse erteilte Information, dass keine Einheit des Verhinderungsfalls vorliegt, nicht verlassen muss. Denn den Krankenkassen ist es tatsächlich nicht möglich, die für die Prüfung durch das Unternehmen notwendigen Informationen diesem vollständig zu erteilen; so das BAG im vorbezeichneten Urteil.

Vielmehr hat die beschäftigte Person – ggf. in einem arbeitsgerichtlichen Zahlungsklageverfahren – nachvollziehbar darzulegen (Sachverhaltsschilderung!) und voll zu beweisen, „dass die neue Arbeitsunfähigkeit erst zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war.“ Das gilt sogar dann, „wenn sich an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ein Krankengeldbezug angeschlossen hat und der Arbeitnehmer in der Folge vom Arbeitgeber unter Vorlage einer neuen Erstbescheinigung Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen einer sich unmittelbar an den Krankengeldbezug anschließenden Arbeitsverhinderung verlangt“; so das BAG im vorbezeichneten Urteil. Dadurch entstehen für die beschäftigte Person im arbeitsgerichtlichen Verfahren i. d. R. schon Darlegungsprobleme hinsichtlich der Frage, warum eine (von ihr zu benennende) ggf. längere Erkrankung, die ggf. sogar nicht oder nicht dauerhaft behandelt wurde, (bereits) zu einem bestimmten Zeitpunkt geendet haben soll – und nicht länger bestanden hat – und eine andere (von ihr zu benennende) Erkrankung (erst) nachfolgend aufgetreten ist und nicht bereits zuvor vorlag. Zudem muss die beschäftigte Person versuchen dafür Beweis zu führen, z. B. durch die Zeugeneinvernahme des behandelnden Arztes bzw. der behandelnden Ärztin. Dieser Beweis kann jedoch ggf. nur schwer geführt werden, weil der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin häufig keine eigenen Wahrnehmungen darüber hat, ab wann die neue Erkrankung tatsächlich begonnen hat bzw. warum die festgestellte Arbeitsunfähigkeit aufgrund der vorausgehenden Erkrankung gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt endete und nicht noch – vielleicht auch nur für kurze Zeit – fortbestanden hat. Dieses Problem verschärft sich aus Sicht der beschäftigten Person, wenn die verschiedenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch verschiedene Ärztinnen oder Ärzte ausgestellt wurden, die ggf. von der unmittelbar vorausgehenden Erkrankung keine Kenntnis haben.

Damit ist die Darlegungs- und Beweissituation in Fällen „wechselnder Erkrankungen“ unter dem Aspekt der „Einheit des Verhinderungsfalls“ für die beschäftigte Person deutlich schwieriger, als wenn dem Unternehmen „lediglich“ die Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gelingt.

In Fällen „wechselnder Erkrankungen“ – also wenn sich die wechselnden Erkrankungen ausweislich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aneinanderreihen, ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen ihnen besteht und die beschäftigte Person dazwischen nicht wieder gearbeitet hat – stehen die Chancen für Unternehmen deshalb häufig gut, die Pflicht zur Entgeltfortzahlung unter Hinweis auf die „Einheit des Verhinderungsfalls“ auf bis zu 6 Wochen zu begrenzen.