Nach einer Tätowierung muss damit gerechnet werden, dass sich die tätowierte Hautstelle entzündet. Diese Komplikation wird bei Einwilligung in die Tätowierung billigend in Kauf genommen. Führt diese Komplikation zur Arbeitsunfähigkeit, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, da den Arbeitnehmer ein Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit trifft, LAG Schleswig-Holstein, Urt. V. 22.05.25 – 5 Sa 284a/24 -.
Die Klägerin ist seit dem 21.08.2023 als Pflegehilfskraft bei der Beklagten, einem Pflegedienst, beschäftigt und erhält ein Bruttomonatsgehalt von 1.956,60 EUR bei einer 30-Stunden-Woche. Am 15.12.2023 ließ sich die Klägerin am Unterarm tätowieren, woraufhin sich die tätowierte Stelle entzündete und eine Krankschreibung vom 19.12. bis 22.12.2023 erforderlich wurde; entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wurden vorgelegt.
Die Beklagte zahlte für Dezember 2023 ein reduziertes Gehalt und wertete die Tage 20.12.–22.12. sowie 27.12.–28.12.2023 als „unbezahlte Freizeit (unentschuldigtes Fehlen, Arbeitsbummelei)“. Mit Schreiben vom 16.01.2024 lehnte die Beklagte die Entgeltfortzahlung für diese Tage ab. Die Klägerin machte mit gewerkschaftlicher Unterstützung den Differenzbetrag von 465,90 EUR brutto geltend und erhob nach Fristablauf Klage. Sie argumentierte, die Entzündung sei eine seltene, nicht vorhersehbare Komplikation und Tätowierungen seien Teil der geschützten privaten Lebensführung; ein Verschulden im Sinne des § 3 I 1 EFZG liege nicht vor. Die Beklagte hielt dagegen, die Klägerin habe die Erkrankung durch die freiwillige Tätowierung selbst verschuldet und verwies auf § 3 II EFZG sowie § 52 II SGB V, wonach bei medizinisch nicht notwendigen Eingriffen kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestehe. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, da die Arbeitsunfähigkeit auf einem selbstverschuldeten, medizinisch nicht notwendigen Eingriff beruhe und die gesetzliche Wertung einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in solchen Fällen ausschließe.
Das LAG stellt zunächst klar, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 I 1 EFZG nur besteht, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht vom Arbeitnehmer verschuldet ist. Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt und hat dies durch ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen belegt, deren Beweiswert nicht durch den Zusammenhang mit der Tätowierung erschüttert wurde. Die Arbeitsunfähigkeit beruhte jedoch auf einer bakteriellen Entzündung als Komplikation der Tätowierung, die kausal für die Erkrankung war. Das LAG legt dar, dass ein Verschulden iSd § 3 I 1 EFZG vorliegt, wenn der Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das eigene Interesse an der Gesunderhaltung verstößt, wobei ein objektiver Maßstab anzulegen ist. Die Klägerin habe mit der Tätowierung und der damit verbundenen Komplikationswahrscheinlichkeit von bis zu 5 % zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt und damit grob gegen ihr Eigeninteresse verstoßen. Die Kammer betont, dass die Klägerin als Pflegehilfskraft mit erhöhtem Infektionsrisiko besonders hätte vorsichtig sein müssen. Ein Vergleich mit Sportunfällen sei nicht einschlägig, da bei Tätowierungen das Risiko einer Komplikation bewusst in Kauf genommen werde, während bei Sportverletzungen ein anderes Verschuldensmaß gelte.
Schließlich stützt das Gericht seine Wertung auf § 52 II SGB V, wonach das Risiko von Komplikationen nach Tätowierungen dem Veranlasser zugewiesen wird und nicht dem Arbeitgeber oder der Versichertengemeinschaft. Die Revision ist nicht zugelassen. Dagegen wurde Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG eingelegt Az: 5 AZN 370/25.