Wie ein Energieversorger aus Hannover mit neuen Wegen Digitalspezialisten rekrutierte

Die AGV-Rechtstipps

03.04.2020

Der Vorstand stand vor einer Herausforderung: Es galt, für einen 120 Jahre alten Stromversorger mit 2.500 Beschäftigten in der Landeshauptstadt Hannover ITler zu begeistern – Fachkräfte, die am Arbeitsmarkt als Mangelware heiß begehrt sind. Es ging weder um einen ausgesprochen coolen Dienstleister noch um eine ebensolche Millionenmetropole wie Berlin oder München. Es wurde ein Team aus 6 Personen gebildet, die alle keine HR – Erfahrung hatten und den unterschiedlichsten Fachbereichen angehörten. Aber sie hatten eines gemeinsam: Bock auf den Job – Zukunft einmal anders zu denken.

 

Die New Work Pioniere gründeten 2018 das agile LAB der Enercity AG. Mit neuen Wegen gerierte das LAB in nur 7 Monaten 350 Bewerbungen und konnte alle Stellen besetzen. Die Fachzeitschrift „Personalwirtschaft“ zeichnete sie in einem Wettbewerb mit dem ersten Platz in der Kategorie „Recruiting“ aus. Wie sie vorgingen, lesen Sie hier. Der Faktor Mensch war entscheidend. Das LAB wollte selbstorganisiert arbeiten, komplett ohne Führungskraft. Dabei wurde das Team unterstützt von systemischen Beratern und zwei Initiatoren, dem BR Vorsitzenden und dem Arbeitsdirektor / Personalvorstand. Diese Task Force Recruiting folgte den Worten von Jochen Mariss „Lieber auf neuen Wegen stolpern, als in den alten Bahnen auf der Stelle treten“.

 

Auftrag: Findet die Digitalspezialisten! Das Recruiting war die erste und wichtigste Phase der Candidate Journey.
Im Marketing wie in der Rekrutierung ist die Zielgruppenfokussierung das Wichtigste: Was suchen wir überhaupt? Wo suchen wir? Wo kommen die Digitalspezialisten der Zukunft her? Wie können wir eine Wohlfühlatmosphäre schaffen?
Das Team nahm direkt Kontakt zu Unis auf, um im persönlichen Gespräch mit Digitalspezialisten herauszufinden, welche Prioritäten sie haben und was für sie No – Gos sind. Sodann ging es zu Softwareentwicklern in einen großen Coworking Space in Hannover und schließlich wurden auch die eigenen Digitalspezialisten befragt. So ergaben sich Erfolgsfaktoren und Schmerzpunkte, die in die 6 Phasen der Candidate Journey bis hin zu Onboarding und Bindung unterteilt wurden.

 

Orientierung Jobrecherche – die Leute sind vielleicht noch gar nicht auf der Suche. Das LAB musste daher auf potentielle Kandidaten zugehen und einen möglichst einfachen Weg des Zugangs finden. Übermittlung der Bewerbung würde nicht laufen, indem Lebenslauf, Zeugnisse, Anschreiben und Anlagen eingescannt und hochgeladen übersandt würden oder die Bewerber sich mühsam durch ein Softwaresystem durcharbeiten. Dieser klassische Weg der Personalrekrutierung kam für diese Aufgabe nicht in Frage. Auch die Teilnahme am Auswahlverfahren musste geändert werden. Klassische Teilnahme am Auswahlverfahren bei Enercity – Teilnehmer aus: Fachbereich, Personalbereich, LAB, Betriebsrat, Top – Management, mittleres Management. Man sitzt als Bewerber quasi einem Tribunal gegenüber. Entscheidungs- und Ergebnisdokumentation im klassischem Stil dauert ein paar Wochen. Neu: Es muss jederzeit transparent gemacht werden, wo der Bewerber steht.

 

Am Ende stehen Integration und Bindung in der noch nicht so Newen Enercity Welt … Die Erfolgsfaktoren:Die Digitalspezialisten wollen eine attraktive Landing Page, also eine Karriereseite, die sie anspricht. Das Unternehmen stellt sich vor und fragt: Wie willst Du arbeiten? Die Benefits (Homeoffice, tarifliche Bezahlung, Betriebskindergarten etc.) werden mit Piktogrammen vorgestellt, damit das Ganze chic aussieht. Die beiden Teams, die für Digitalisierung zuständig sind sowie alle Jobs werden vorgestellt. Auf der Landing Page blinkt im unteren Teil etwas auf. Man kann dort das Spiel „Snake“ spielen. Die Schlange kann aber nicht 100, sondern nur 99 Felder erreichen, weil ein Programmierfehler (ein sogenanntes Easter Egg) eingebaut ist. ITler lieben solche Spielereien… Wer den Fehler findet und das richtig umprogrammiert, erhält einen Code, den er zusätzlich in seiner Bewerbung angeben kann.

 

Das Magazin t3n und die Internetplattform Stack Overflow, die sich an Softwareentwickler richtet, waren sehr hilfreich, um Kontakt zu Programmierern aufzunehmen und Jobs zu posten.

 

Wir bewerben uns: Nicht das Motto, da kommt jetzt jemand und der zeigt wie hoch er springen kann, sondern wir zeigen wie toll wir sind.

 

Mitarbeiterempfehlungsprogramm nach dem Prinzip „Gute Leute kennen gute Leute“. So kamen auch tolle Bewerbungen zusammen.

 

Es reicht als Bewerbung, wenn man den XING Link übersandt hat! Es kam ganz schnell eine automatisierte Rückmeldung und auch sehr schnell eine Einladung.

 

Wie kann die Zeit von der Zusage bis zur Arbeitsaufnahme versüßt werden, damit bereits eine erste emotionale Bindung entsteht und der frisch rekrutierte ITler nicht vor Arbeitsaufnahme kündigt bzw. vom Mitbewerber abgeworben wird?

 

Die Lösung: Ein Zusage – Video, das als verdeckter YouTube Link mit der Zusage übersandt wird. Der „neue Mitarbeiter“ trifft auf alle Personen, die am Rekrutierungsprozess beteiligt waren und die im Video erklären, dass sie sich auf „den Neuen“ freuen. Ein „Herzlich Willkommen im Team“, das auch schon innerhalb der Familie oder dem Freundeskreis gezeigt werden kann.

 

Nach jeder Bewerbung wurde unabhängig von Zu- oder Absage ein Feedbackbogen versandt, in dem die Bewerber sich zum Bewerbungsprozess äußern konnten.