Das BAG hat sich in der Vergangenheit immer wieder mit dem Verfall von Urlaubsansprüchen bei erkrankten Arbeitnehmern beschäftigt. Mit Urteil vom 31.01.2023 – 9 AZR 107/20 – hat das BAG bekräftigt, dass die Hinweispflicht des Arbeitgebers auf den drohenden Verfall der Urlaubsansprüche am 01. Januar entsteht und auch unverzüglich erfüllt werden müsse. Für Arbeitgeber besteht daher ein sehr früher Handlungsbedarf! Allerdings kann der Arbeitnehmer seinen Urlaubsabgeltungsanspruch nach 15 Monaten verlieren.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaub aus 2016. Der bei der Beklagten seit 1.11.1989 beschäftigte Kläger (ein Angestellter im öffentlichen Dienst) war seit 18.1.2016 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 28.2.2019 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Grund seien psychische Beeinträchtigungen gewesen – er sei von seinem Vorgesetzten gemobbt worden. Im Rahmen des Aufhebungsvertrages ließen die Parteien den streitigen Resturlaub aus 2016 offen. Der Kläger verlangt die Abgeltung von 30 Arbeitstagen Urlaub aus dem Jahr 2016. Die erste und zweite Instanz wiesen die Klage ab.
Gründe
In der dritten Instanz hatte der Kläger teilweise Erfolg. Nach Auffassung des BAG sind fünf Arbeitstage Urlaub nicht verfallen.
Der 9. Senat erläutert, dass er im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 22.9.2022 (Sache Fraport) die Voraussetzungen, unter denen der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub bei einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verfallen könne, weiterentwickelt habe.
Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 7 I, III BUrlG erlösche Urlaub nach Ablauf von 15 Monaten, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgängig bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig gewesen sei.
In diesem Fall trete die Rechtsfolge unabhängig davon ein, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen sei.
Habe der Arbeitnehmer hingegen im Verlauf des Bezugszeitraums gearbeitet, bevor er arbeitsunfähig erkrankt sei, könne der Urlaubsanspruch grundsätzlich dann nach Ablauf der 15 Monatsfrist verfallen, wenn der Arbeitgeber die Inanspruchnahme des Urlaubs zuvor in gebotener Weise ermöglicht habe.
Hierfür müsse der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachkommen, insbesondere den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt haben, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen.
Eine besondere Konstellation, in der die 15-Monatsfrist bei unterjährigem Eintritt der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ausnahmsweise zu laufen beginne, ohne dass der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen sei, bestehe aber bei einer früh im Urlaubsjahr eintretenden Erkrankung des Arbeitnehmers.
Dem Arbeitgeber müsse es tatsächlich möglich sein, den Arbeitnehmer vor dessen Erkrankung in die Lage zu versetzen, Urlaub zu nehmen. Solange dies aufgrund des frühen Zeitpunkts des Krankheitseintritts im Urlaubsjahr nicht der Fall sei, könne die Befristung des Urlaubsanspruchs nicht von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten abhängen.
Aufforderung und Hinweis müssten nicht sofort nach Urlaubsentstehung erfolgen, sondern ohne schuldhaftes Zögern. Da die Berechnung des Urlaubsanspruchs und die Formulierung der Belehrung regelmäßig keine besonderen Schwierigkeiten bereiten würden, sei unter normalen Umständen eine Zeitspanne von einer Woche ausreichend.
In der Regel handele der Arbeitgeber nicht unverzüglich, wenn er seine Mitwirkungsobliegenheiten erst später als eine Woche nach Urlaubsentstehung erfülle. Die Beklagte habe ihre Mitwirkungsobliegenheiten nicht vor dem 8.1.2016 erfüllen müssen. Nach diesem Zeitpunkt bis zum Eintritt der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit lägen fünf Urlaubstage, die weiterhin abzugelten seien.
Folge für die Praxis
Arbeitgeber sollen daher im Kalenderjahr so früh wie möglich ihren Hinweispflichten nachkommen, jedenfalls bis zum Ende der ersten Arbeitswoche.