Die Braunschweiger Zeitung berichtete kürzlich über eine Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Braunschweig, mit der Beschäftigte der Wentronic GmbH die Wahl eines Betriebsrates gerichtlich einfordern wollten. Dazu kam es am Ende nicht, doch Reformbedarf am Betriebsverfassungsrecht sieht die Unternehmensführung dennoch. Michael Wendt, Geschäftsführer der Wentronic GmbH schildert in einem Erfahrungsbericht die Vorgänge und seine Motivation für eine Modernisierung des kollektiven Arbeitsrechts zu streiten.
Wie unsere Kollegen gemeinsam mit der Geschäftsführung unsere Unternehmenskultur verteidigt haben
Braunschweig, 21. August 2018: um 8:59 Uhr. Das Mobiltelefon klingelt und am anderen Ende ist unser Anwalt. Ob ich schon auf dem Weg zu Gericht bin, fragt er mich. Da die Gerichtsverhandlung erst um 10:15 Uhr sein sollte, verneine ich kurz und etwas überrascht, woraufhin er erklärt, dass ich auch nicht mehr hin muss. Der Antrag wurde zurückgezogen.
Es wird bei Wentronic keinen Betriebsrat geben!
Wie geht sowas und was ist genau passiert? In unserer Unternehmensgruppe arbeiten am Standort in Braunschweig knapp über 190 Mitarbeiter. Die Unternehmen sind zu 100% Inhabergeführt. Im Januar 2018 hat ein Kollege zwei weitere Kollegen motiviert, mit ihm gemeinsam eine Betriebsratwahl zu organisieren. Wie so oft, gab es auch in unserem Fall dazu im Vorfeld Geschehnisse, die von beiden Seiten selbstverständlich unterschiedlich dargestellt werden würden. Da der Ursprung der Thematik keine relevante Rolle spielt, lassen wir das Thema unbeachtet.
Es kam am 07. Februar zu einer Betriebsversammlung, die das Ziel hatte, einen Wahlvorstand zu wählen, der dann die Wahl eines Betriebsrates organisiert. Eine Vertreterin der Gewerkschaft Ver.di war vor Ort und 143 wahlberechtigte Mitarbeiter folgten der Einladung zu dieser Veranstaltung. Nach kurzen einleitenden Worten kam es schnell zu Fragen aus der Belegschaft, was denn genau zu tun sei und was das Ziel der Betriebsratsgründung wäre. Die Gewerkschaft hat die Unwissenheit und Neugierde der Mitarbeiter unseres Unternehmens als ‚taktisch positionierte Störenfriede‘ bezeichnet, die mit Zwischenfragen die Wahlveranstaltung gestört hätten. Tatsächlich war es so, dass unsere Kollegen in weiten Teilen den Antragstellern und ihren Beweggründen einfach nicht folgen konnte. Es war kein Geheimnis, dass es hier ein angespanntes Verhältnis gab. Daraufhin hat der Antragsteller den anwesenden Kollegen umgehend klargemacht, dass, falls es nicht durch die Wahl zur Bildung eines Wahlvorstandes kommen sollte, er einfach das Arbeitsgericht anrufen und einen Wahlvorstand per Gerichtsbeschluss bestellen lassen würde. Diese Aussage führte zu Empörung und Ärger im Raum unter vielen Kollegen. Die Wahlveranstaltung wurde dennoch fortgesetzt, die Stimmzettel abgegeben und die Kollegen, die nicht dem Konzept ‚Betriebsrat‘ in seiner vorliegenden Form folgen wollten, hatten lernen müssen, dass sie formal gar keine Wahlmöglichkeit haben, um Nein zu sagen oder eine alternative Form der Mitarbeitervertretung zu wählen. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht dies schlicht nicht vor. Im Ergebnis hat keiner der Kandidaten für die Wahl zum Wahlvorstand die notwendige Zahl der Stimmen erhalten. Der Anteil der ‚bewusst‘ ungültig abgegebenen Stimmzettel lag bei knapp 75%. Da ja formal kein ‚Nein‘ möglich war, um das Zustandekommen eines Betriebsrates zu verhindern, hatten die Kollegen entschieden, ungültige Stimmzettel abzugeben, was sich als kluge Entscheidung erwies.
Und warum wollen Mitarbeiter aus Büro und Lager keinen Betriebsrat, wenn er doch dazu gedacht ist, die Mitarbeiterinteressen zu stärken? Das ist eine Frage, mit der sich die Gerichte und die Gesetzgebung vielleicht einmal befassen müssten, dachten wir uns. Insbesondere als kurz nach dieser gescheiterten Wahlveranstaltung diverse Kollegen die Geschäftsführung und ihre Vorgesetzten aufgesucht haben. Alle im wesentlichen mit der Aussage: „Das kann doch nicht sein, dass die hier machen können was sie wollen und die große Mehrheit von uns sich diesem Unsinn fügen muss.“
Ich muss das ganz deutlich aussprechen: Der Wunsch, keinen Betriebsrat bei Wentronic zu haben, wurde von Teilen der Belegschaft deutlich formuliert und Unterstützung von der Geschäftsführung eingefordert. Seit 26 Jahren ist die Zusammenarbeit der Kollegen und der Unternehmensleitung bei Wentronic offensichtlich eine für beide Seiten angenehme und gesunde Form. Sie entspricht der Entwicklung in unserer Gesellschaft, finden wir zumindest. Es ist rechtlich wirklich schwierig für die Geschäftsführung den Forderungen der Kollegen zu folgen und etwas in dieser Sache zu unternehmen. Das Gesetz ist da ziemlich streng und bietet kaum Spielraum. Jede Form der Einflussnahme oder die versuchte Einflussnahme kann zu ganz erheblichen Strafen führen. Die Gewerkschaft vermittelt teils einen einschüchternden Eindruck und droht schnell mit rechtlichen Schritten, Unterlassungsklagen etc.
Wieso ist es nicht zur Gründung eines Betriebsrates gekommen?
Der Kollege hat also mit Unterstützung von Ver.di das Braunschweiger Arbeitsgericht angerufen und um die Bestellung eines Wahlvorstandes gebeten. Im Verlauf des Prozesses sind nach und nach Unterstützer des Antragstellers abgesprungen oder haben entschieden, das Unternehmen zu verlassen und standen deshalb nicht mehr zur Verfügung.
Vor Gericht haben wir argumentiert, dass trotz des nachvollziehbaren Minderheitenschutzes, die große Mehrheit in einem Unternehmen nicht ignoriert werden darf. Dies widerspricht unserem Demokratieverständnis und diese Wahrnehmung teilt das Kollegium mit der Geschäftsführung. Da die Kollegen gar nicht wussten, wie sie ihr Interesse vor Gericht vertreten sollten, sollte Wentronic dies stellvertretend für alle Beteiligten tun. Genau daraus ergab sich eine völlig neue Betrachtungsweise und es ist fast komisch, dass dies noch niemand so vor Gericht argumentiert hat. Denn jetzt ging es nicht mehr darum, dass die Gewerkschaft und die Geschäftsführung gegeneinander antreten, auch wenn natürlich formal durch den initiierenden Kollegen aus unserem Haus. Wir vertreten die Interessen unserer Mannschaft. Die Interessen einer erheblichen Mehrheit an Kollegen, die sagen, dass sie eine andere Form der Mitarbeitervertretung oder möglicherweise auch gar keine gesonderte Variante davon in unserem Unternehmen bevorzugen würden und einfach keine Möglichkeit haben, dies nach aktuell gültigem Gesetz umzusetzen.
Kurz gesagt: Gemeinsam mit diesen Kollegen sind wir angetreten das Betriebsverfassungsgesetz in seiner vorliegenden Form dahingehend überprüfen und anpassen zu lassen, dass es wieder zeitgemäß ist und aktuelle Arbeitsplatzsituationen berücksichtigt. Die Arbeitsmarktsituation hat sich sehr zu Gunsten des Arbeitnehmers verändert, seit das Gesetz letztmalig in den 1970ern nennenswert novelliert wurde. Damals hatten wir hohe Arbeitslosenzahlen und üblicherweise noch eine Vielzahl authoritärer Führungsverhältnisse gegenüber den Mitarbeitern. Heute gibt es diese Situationen sicherlich noch immer hier und da, allerdings stirbt diese Führungskultur aus und die Gesetzgebung muss dieser Entwicklung folgen. Und sie muss nach demokratischen Prinzipien auch andere Konzepte zulassen, als den klassischen Ansatz des Betriebsrates, der offensichtlich nicht die richtige Lösung für jedes Unternehmen ist. Für Wentronic und unser Kollegium ist er es nicht.
Der eindeutig formulierte Wunsch der Mehrheit unserer Kollegen nach einer Alternative zum Betriebsrat, war die Grundlage für unseren Weg, gemeinsam unsere Firmenkultur vor Gericht zu verteidigen und weiterhin miteinander am Erfolg unserer Firma zu arbeiten. Unternehmensfreundlich heißt bei uns auch Mitarbeiterfreundlich.
Michael Wendt
Geschäftsührer
Wentronic GmbH