Wann ist die Frage nach der Schwerbehinderung erlaubt?

Arbeitsrecht

26.11.2020

Ein Arbeitnehmer ist schwer behindert, wenn er einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 oder mehr hat. Er ist gleichgestellt, wenn er einen GdB von 30 oder mehr zuzüglich einer Gleichstellung hat. Arbeitnehmer, die schwer behindert oder gleichgestellt sind, genießen nach einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 6 Monaten einen besonderen Kündigungsschutz. Zur Wirksamkeit einer Kündigung dieses Personenkreises ist die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes durch einen schriftlichen Bescheid erforderlich. Für Unternehmen ist es von Interesse, zu wissen, ob jemand diesem Sonderkündigungsschutz unterliegt.

Damit schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen beim Abschluss eines Arbeitsvertrages nicht benachteiligt werden, ist die Frage nach der Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung im Vorstellungsgespräch unzulässig. Dies ergibt sich aus dem AGG, dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Eine Ausnahme ist dann gegeben, wenn das Handikap den Arbeitnehmer bei der Ausübung seiner Tätigkeit beeinträchtigt. Die Fragestellung muss daher sein, ob ein Handikap vorliegt, das den Arbeitnehmer bei der Ausübung der Tätigkeit beeinträchtigt. In einem solchen Fall besteht sogar eine Offenbarungspflicht des Arbeitnehmers. Wer beispielsweise eine Beinprothese hat und sich für einen Job bewirbt, bei dem es darum geht, Silofahrzeuge zu fahren, der muss darauf hinweisen, dass er das Handikap hat. Denn auf den Fahrzeugen befindet sich eine schmale Leiter, die durch Regen, Schnee o. ä. rutschig sein kann. Es ist daher erforderlich, eine Standsicherheit zu haben. Abgesehen von solchen Ausnahmen muss der Arbeitnehmer auch im laufenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht offenlegen, dass er schwerbehindert oder gleichgestellt ist.
Es reicht, dass der Arbeitnehmer sich nach Erhalt der Kündigung innerhalb von 3 Wochen auf den Sonderkündigungsschutz beruft. Dies macht dann die ausgesprochene Kündigung unwirksam, obwohl der Arbeitgeber vom Sonderkündigungsschutz keine Kenntnis hatte. Auf Arbeitgeberseite kommt hinzu, dass das Sozialgesetzbuch IX in § 154 eine Pflicht der Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen festgelegt. Danach müssen private und öffentliche Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen auf wenigstens 5 % der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Dabei sind schwerbehinderte Frauen besonders zu berücksichtigen. Die Beschäftigungspflicht ist außerdem gestaffelt. § 160 SGB IX bestimmt, dass Arbeitgeber, die die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen, für jeden unbesetzten Pflicht Arbeitsplatz für eine Ausgleichsabgabe zu entrichten haben. Die Ausgleichsabgabe ist ebenfalls gestaffelt und beginnt mit 125 €. Die Ausgleichsabgabe zahlt der Arbeitgeber jährlich zugleich mit der Erstattung der Anzeige gemäß § 163 Abs. 2 SGB IX. Danach haben Arbeitgeber einmal jährlich bis spätestens zum 31. März für das vorangegangene Kalenderjahr, aufgegliedert nach Monaten, die Daten anzuzeigen, die zur Berechnung des Umfangs der Beschäftigungspflicht, zur Überwachung ihrer Erfüllung und der Ausgleichsabgabe notwendig sind.
Wenn Arbeitgeber aber nicht wissen, dass sie schwerbehinderte bzw. gleichgestellte Menschen beschäftigen, so entrichten sie unter Umständen die Ausgleichsabgabe, obwohl sie gar nicht zahlen müssten.

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 16.02.2012 – 6 AZR 553/10 – ausgeurteilt, dass im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach 6 Monaten, also nach dem Erwerb des Sonderkündigungsschutzes für behinderte Menschen, die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung zulässig ist! Dies gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen.

Daher der Praxistipp: Fragen Sie unter diesem Aspekt rechtzeitig vor dem 31. März das Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. das Bestehen einer Gleichstellung bei Ihren Mitarbeitern schriftlich ab.