Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit – erstes Urteil eines Arbeitsgerichts

Arbeitsrecht

15.10.2020

Bei der Verpflichtung des Arbeitgebers, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen, handelt es sich auch um eine vertragliche Nebenpflicht gem. § 241 II BGB.

Verletzt der Arbeitgeber diese vertragliche Nebenpflicht, gilt der unter Vorlage von Eigenaufzeichnungen geleistete Vortrag des Arbeitnehmers, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat, regelmäßig gem. § 138 III ZPO als zugestanden. Die im Rahmen eines sog. Bautagebuchs in Anwendung der Regelungen der HOAI vom Arbeitgeber vorgenommenen Aufzeichnungen genügen den Anforderungen eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung regelmäßig nicht, so das Arbeitsgericht Emden, 20.02.2020 – 2 Ca 94/19 –.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in 2019 ausgeurteilt, dass die Mitgliedsstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Der deutsche Gesetzgeber ist dem bislang nicht nachgekommen. Es sind aber vom Bundesarbeitsministerium und vom Bundeswirtschaftsministerium bereits Rechtsgutachten eingeholt worden.

Und nun hat das Arbeitsgericht Emden als erstes Arbeitsgericht ein Urteil gefällt, das bereits jetzt eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur Einrichtung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung sieht. Verfügt er über kein solches System, kehrt sich die Beweislast im Prozess um. Die drastische Folge: Der Arbeitgeber ist im Überstundenprozess fast chancenlos … Das Arbeitsgericht Emden hat entschieden, dass aus Artikel 31 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) eine unmittelbare arbeitgeberseitige Pflicht zur Einführung eines objektiven verlässlichen Systems zur Arbeitszeiterfassung folge. Ein Arbeitgeber, der kein solches System eingerichtet habe, könne der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht nachkommen.

Sachverhalt

Der Kläger war als Bauhelfer tätig und klagte auf 281,78€ nebst Zinsen für Vergütung und Aufwendungsersatz für die Beschädigung seiner eigenen Bohrmaschine. Zwischen den Parteien war u.a. der zeitliche Umfang der vom Kläger erbrachten Arbeitsleistung streitig. Die Beklagte hatte für den Zeitraum 38. bis 45. KW 183 Stunden angesetzt. Der Kläger kam auf 195,05 Stunden. Für die Differenz begehrte er die Zahlung von 156,65€. Der Kläger hatte konkret seine Arbeitszeiten sowie die Stundenrapporte vorgelegt. Der Beklagte erwiderte, die Stundenerfassung sei mittels eines Bautagebuchs bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende erfolgt.

Entscheidungsgründe

Das ArbG Emden führt aus: „Im Vergütungsprozess besteht eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitnehmer muss demnach zunächst vortragen und darlegen, „an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat“. Danach obliegt es dem Arbeitgeber, sich seinerseits substantiiert zum Vortrag des Arbeitnehmers zu erklären und darzulegen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen – ggf. nicht – nachgekommen ist. Lässt sich der Arbeitgeber nicht substantiiert ein, so gilt der Sachvortrag des Arbeitnehmers insoweit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden…“ Aus Art. 31 Absatz 2 GrCh folge die Verpflichtung des Arbeitgebers, ein objektives, verlässliches und zugängliches System der Arbeitszeiterfassung als vertragliche Nebenpflicht im Sinne des § 214 Absatz 2 BGB zu stellen. Der Beklagte habe keine Aufzeichnungen vorlegen können, aus denen sich ergäbe, dass er dieser Pflicht nachgekommen sei. Das Bautagebuch sei kein solches System. Es diene gemäß § 34 HOAI nicht der Erfassung der Arbeitszeiten der beschäftigten Arbeitnehmer, sondern diene der Berechnung der Entgelte für Grundleistungen der Architekten und Ingenieure. Etwaige Anfahrts- und Rüstzeiten seien bspw. im Bautagebuch nicht aufgezeichnet.

Folgen der Entscheidung

Arbeitgeber sind gut beraten, im Hinblick auf Vergütungsansprüche die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer belastbar zu erfassen.

Gesetzgeberische Lösung

Was der Gesetzgeber insoweit plant, lässt das im Auftrag des BMAS erstellte, Gutachten von Prof. Bayreuther vermuten. Die Begutachtung von Bayreuther endet mit einem konkreten Regelungsvorschlag zur Umsetzung des EuGH-Urteils. Dieser lautet:

„§ 16 Arbeitszeitnachweise
(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit, [sowie die Dauer der nach § 4 gewährten Ruhepausen] jeweils am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen.

[eventuell: (2) Soweit Arbeit über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinaus geleistet wird, sind die Ausgleichszeiträume nach den §§ 3, 6 Absatz 2, 11 Absatz 2 ArbZG zu dokumentieren.]
(3) Der Arbeitgeber kann die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer mit der Aufzeichnung der Arbeitszeit beauftragen [soweit dessen ungeachtet eine zuverlässige Erfassung der Arbeitszeit gesichert ist / soweit sich die tägliche Arbeitszeit nur auf diesem Weg erfassen lässt.] 2In diesem Fall hat der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer zur ordnungsgemäßen Führung der Aufzeichnungen anzuleiten. 3Der Arbeitgeber hat sich die Aufzeichnungen spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aushändigen zu lassen, diese in angemessenen Umfang zu kontrollieren und die übermittelten Daten innerhalb einer Woche nach ihrem Erhalt so aufzubereiten, dass sie den Anforderungen des Absatz 1 genügen.
(4) Die Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmer hat das Recht, in die über ihn geführte Zeiterfassung Einsicht z zu nehmen.

[eventuell: (5) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann [im Einvernehmen mit …] durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Verpflichtung des Arbeitgebers nach Absatz 1 für bestimmte Wirtschaftsbereiche, Wirtschaftszweige oder Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erweitern, soweit dies erforderlich ist, um verlässliche Aufzeichnungen herbeizuführen oder diese erleichtern, wenn dessen ungeachtet sichergestellt ist, dass die täglichen Arbeitszeiten zuverlässig erfasst werden. Eine solche Verordnung kann auch die Übertragung der Verpflichtung des Arbeitgebers an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach Absatz 3 zum Gegenstand haben.]

(5) Der Arbeitgeber hat ein Verzeichnis der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Abs. 7 eingewilligt haben.

(6) Die Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.“