Hinsichtlich der Ausgestaltung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung hat der Betriebsrat vorbehaltlich künftiger anderweitiger gesetzlicher Regelungen nach § 87 I Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit § 3 II Nr. 1 ArbSchG ein Mitbestimmungs- und Initiativrecht.
LAG München Beschl. v. 22.5.2023 – 4 TaBV 24/23
Der antragstellende Betriebsrat und die beteiligte Arbeitgeberin streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle über die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung der im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter im Außendienst, da lediglich für den Innendienst Konzernbetriebs-vereinbarungen über die Arbeitszeit und deren Erfassung in SAP bestanden. Die Arbeitgeberin lehnte Gespräche ab, da nach ihrer Auffassung bereits keine Zuständigkeit des Antragstellers besteht. Für das „Ob“ einer Zeiterfassung gebe es eine gesetzliche Pflicht, für das „Wie“ sei der Konzernbetriebsrat zuständig, da von einer potenziellen Regelung auch andere Mitarbeiter im Konzern betroffen wären.
Das ArbG München gab dem Antrag dennoch statt.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Arbeitgeberin blieb erfolglos. Das LAG München bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung, die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig gem. § 100 I 2 ArbGG.
Das Mitbestimmungsrecht setze ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und diese wegen des Fehlens einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen.
Für die Frage, ob ein Zeiterfassungssystem eingeführt wird, bestehe in diesem Zusammenhang zwar kein Mitbestimmungsrecht, weil Arbeitgeber dazu nach § 3 II Nr. 1 ArbSchG gesetzlich verpflichtet seien und mithin kein Gestaltungsspielraum bestehe, den sie gemeinsam mit dem Betriebsrat ausfüllen können. Für die Ausgestaltung des zu verwendenden Systems bestehe hingegen ein Spielraum etwa dahin gehend, auf welche Weise – elektronisch oder analog, gegebenenfalls getrennt nach Beschäftigungsgruppen – die Erfassung erfolgen soll, weshalb dem Betriebsrat (vorbehaltlich eventueller anderweitiger künftiger Regelungen durch den Gesetzgeber) nach § 87 I Nr. 7 BetrVG i.V.m § 3 II Nr. 1 ArbSchG ein Mitbestimmungs- und daher auch ein Initiativrecht zustehe.
Das Mitgestaltungsrecht des Betriebsrats hänge auch nicht davon ab, ob der Arbeitgeber seinen gesetzlichen Pflichten nachkommen wolle oder nicht; dieser könne sich gegenüber dem Wunsch des Betriebsrats nach einer Regelung nicht darauf berufen, er sei nicht gewillt, der gesetzlichen Verpflichtung zu genügen. Auch dies habe das BAG ausdrücklich festgestellt.
Die Arbeitgeberin könne sich schließlich nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe sich bereits für ein elektronisches Erfassungssystem entschieden und zur Mitbestimmung bei dessen Einführung sei der Konzernbetriebsrat berufen. Ein Vorgehen ohne vorherige Mitbestimmung widerspreche dem von § 87 I Nr. 7 BetrVG bezweckten effektiven Gesundheitsschutz, ferner beziehe sich die aus § 3 II Nr. 1 ArbSchG folgende Pflicht nicht auf eine bestimmte Erfassungsform. Gerade weil zwingende gesetzliche Vorgaben fehlen, müsse eine Regelung auf betrieblicher Ebene erfolgen, um den beabsichtigten Arbeits- und Gesundheitsschutz zu erreichen.
Der Beschluss ist eine der ersten Entscheidungen zu der viel beachteten und breit diskutierten Entscheidung des BAG aus Herbst 2022, wonach Arbeitgeber schon nach der arbeitsschutzrechtlichen Generalvorschrift des § 3 II Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen (BAG 13.9.2022 – 1 ABR 22/21, NZA 2022, 1616).