Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auch bei freiwilliger variabler Vergütung BAG, Urteil vom 26.04.2023 - 10 AZR 137/22

Arbeitsrecht

21.08.2023

Sachverhalt (vereinfacht)

Der Kläger war von November 2014 bis zu seiner Freistellung im November 2016 bei der Beklagten in leitender Funktion tätig. Die Beklagte gewährt Führungskräften, zu denen der Kläger gehört, eine variable Vergütung, wobei sie sich vorbehalten hat, dass es sich um eine freiwillige Leistung handelt und sie in jedem Jahr neu entscheidet, ob und in welcher Höhe einer Führungskraft eine variable Vergütung gewährt wird. Für die Geschäftsjahre 2015 und 2016 beteiligte die Beklagte den Kläger an der variablen Vergütung, nach seiner Freistellung Ende 2016 jedoch für die folgenden Geschäftsjahre nicht mehr. Mehrere Kündigungen der Beklagten führten zu keiner Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe in den Jahren 2017 und 2018 nahezu allen Führungskräften, zumindest jedoch 13 von ihm namentlich benannten Führungskräften, die Teilnahme an der variablen Vergütung zugesagt. Mit seiner Klage verlangte der Kläger im Weg der Stufenklage Auskunft über die Bemessungsgrundlagen für die Zahlungen der freiwilligen variablen Vergütung für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 sowie Zahlung der von ihm nach Auskunftserteilung noch zu beziffernden Ausschüttungsbeträge.

Verfahrensgang

Das ArbG gab der Klage statt, das LAG wies sie ab. Die Revision des Klägers beim BAG hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung an das LAG.

Entscheidung (neben weiteren Entscheidungsgründen)

Der Kläger kann sein Auskunftsbegehren auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen. Dieser „gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei der Zahlung der Arbeitsvergütung anwendbar, wenn diese durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben wird oder der Arbeitgeber die Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen oder Zwecke festlegt. Die Begünstigung einzelner Arbeitnehmer erlaubt noch nicht den Schluss, diese bildeten eine Gruppe. Eine Gruppenbildung liegt erst dann vor, wenn die Besserstellung nach bestimmten Kriterien vorgenommen wird, die bei allen Begünstigten vorliegen. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist auch dann anwendbar, wenn der Arbeitgeber – nicht auf besondere Einzelfälle beschränkt – nach Gutdünken oder nach nicht sachgerechten oder nicht bestimmbaren Kriterien Leistungen erbringt“, so das BAG.

Der Vortrag der Beklagten, es handele sich bei der variablen Vergütung um eine freiwillige Leistung, auf die weder dem Grund noch der Höhe nach ein Rechtsanspruch besteht, reicht nicht aus um die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes auszuschließen. Die Wirksamkeit des Freiwilligkeitsvorbehalts zugunsten der Beklagten unterstellt, wird eine Bindung an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz durch einen in den Vorjahren erklärten Freiwilligkeitsvorbehalt für das Jahr der Zahlung bzw. Leistung nicht ausgeschlossen.

Das Bundesarbeitsgericht lässt offen, ob der von der Beklagten erklärte Freiwilligkeitsvorbehalt überhaupt wirksam ist. Es unterstellt dessen Wirksamkeit hier zugunsten der Beklagten, um sich dann der es interessierenden Rechtsfrage zu widmen: Kann eine Anspruch des Klägers aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz überhaupt bestehen, wenn es sich bei der vom Kläger begehrten Leistung um eine freiwillige Leistung handelt, auf die auch bei wiederholter Zahlung weder dem Grund noch der Höhe nach ein Rechtsanspruch begründet wird? Diese Frage bejaht das BAG.

Damit erlaubt auch ein Freiwilligkeitsvorbehalt keine willkürliche, also nicht an sachlichen Kriterien ausgerichtete, Nichtgewährung einer variablen Vergütung bzgl. einzelner Beschäftigter. Entscheidet das Unternehmen sich – nicht bloß auf besondere Einzelfälle beschränkt – für die Gewährung der (freiwilligen) variablen Vergütung, muss es sich bei seiner Auswahlentscheidung an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes halten. Dieses dürfte auch für nicht variable, unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellte Vergütungsbestandteile gelten.