Freistellung als Druckmittel ist rechtsmissbräuchlich

Arbeitsrecht

27.05.2020

Es ist rechtsmissbräuchlich, wenn eine ordentlich unkündbare geschäftsführende Oberärztin zur Erzwingung und Durchführung von Gesprächen über ihre Vertragsaufhebung freigestellt wird, so das LAG Schleswig-Holstein mit Urteil vom 6.2.2020 (3 SaGa 7 öD/19).

 

Die klagende Fachärztin ist bei der mehrere Kliniken betreibenden Beklagten beschäftigt, zuletzt als geschäftsführende Oberärztin. Sie ist tariflich unkündbar. Ihre Arbeitsverpflichtung umfasst neben der Mitwirkung an der Krankenversorgung auch Lehrverpflichtungen und wissenschaftliche Dienstleistungen. 2018 übernahm ein neuer Chefarzt die Klinik, in der die Klägerin tätig war. Seit dessen Arbeitsantritt kam es u.a. zu Spannungen zwischen den beiden. Als die Ärztin Ende November 2019 nach längerer Arbeitsunfähigkeit wieder zur Arbeit erschien, wurde sie unter Fortzahlung der Vergütung „insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses“ freigestellt. Weiterhin musste sie ihre Mitarbeiterausweise, Zugangsberechtigungen, Laptop, Datenträger, Visitenkarten und Schlüssel abgeben. Ihr Account im System der Arbeitgeberin wurde gelöscht. Die Ärztin verlangte per Einstweiliger Verfügung ihre Beschäftigung als geschäftsführende Oberärztin. Nachdem die Ärztin beim Arbeitsgericht mit ihrem Eilantrag erfolgreich war, wurde sie vorübergehend in einer anderen Klinik eingesetzt, dort aber nicht als geschäftsführende Oberärztin.

 

Die Berufung der Arbeitgeberin blieb vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein erfolglos. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Beschäftigung als geschäftsführende Oberärztin, den sie durch einstweilige Verfügung durchsetzen kann. Sie verliert ihre Position nicht dadurch, dass diese an einen vom Chefarzt mitgebrachten Oberarzt vergeben wird. Ein durch den neuen Chefarzt hervorgerufener Teamüberhang oder ein nicht – mehr – passendes Team ist kein schutzwürdiges Interesse für eine Freistellung. Nach der Überzeugung des Gerichts lassen persönliche Animositäten den Beschäftigungsanspruch nicht entfallen. Die Beklagte hat die Klägerin durch die erzwungene Freistellung von einem Tag auf den anderen beruflich ausgeschaltet, ohne dass sich die Klägerin etwas zu Schulden hat kommen lassen. Die Klinik hat die einseitige Freistellung zur Durchsetzung nicht schutzwürdiger Eigeninteressen missbraucht: Kein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer muss gegen seine Willen Verhandlungen über die Aufhebung und Abwicklung des eigenen Anstellungsvertrages führen. Der Anspruch der Klägerin war dringend. Die Klinik hatte sie mit der Freistellung und der damit einhergehenden Trennung von den Systemen und EDV-Zugängen, aber auch mit den Veränderungen auf der Homepage für Dritte „unsichtbar“ gemacht. Sie war sowohl für die Krankenversorgung als auch für die Wissenschaft und die Forschung auf Veranlassung der Beklagten nicht mehr existent. Dem musste mit einer Eilentscheidung Einhalt geboten werden. Das Urteil ist rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des LAG Schleswig – Holstein