Die Deutsch-Iranerin Bita Schafi – Neya arbeitet seit mehr als 25 Jahren als freie Journalistin überwiegend für den NDR und produziert eine Reihe von Feature für WDR, Deutschlandfunk und RBB. Ihre zweite Heimat hat Sie mittlerweile in Braunschweig gefunden. Im April 2012 hat sie beim Staatlichen Sender IRIB in Teheran gearbeitet – später von Deutschland aus. Sie besitzt sowohl die deutsche als auch die iranische Staatsbürgerschaft und hat im Jahr 2014 vier Monate im Iran verbracht. Der AGV hat sich vor dem Erscheinen Ihres zweiten Buches mit der Journalistin Unterhalten.
Ihr zweites Buch trägt den Titel – Freiheit unterm Schleier – Die Rolle der Frauen im Iran – worauf dürfen sich die Leser freuen?
Durch die Medien ist in vielen Köpfen ein Bild der Lage der iranischen Frauen entstanden, welches mit der Wirklichkeit oft nicht übereinstimmt. So schwärmen allein reisende europäische Frauen von der Hochachtung und der Höflichkeit, mit der Ihnen iranische Männer begegnen. Westliche Besucher sind vom Selbstbewusstsein der Frauen im Alltag – vor allem in den großen Städten des Landes – überrascht. Auch vielen nicht bewusst: Der Iran gehört nicht zur arabischen Welt, sondern hat indogermanische (Sprach-)Wurzeln. Mein Buch schildert den Alltag der Iranerinnen aus verschiedenen Sichtweisen, wirft immer wieder einen Blick auf 100 Jahre Frauenbewegung in Persien und vermittelt auch allgemein für viele sicher überraschende Einblicke in ein faszinierendes Land. Übrigens: ein Land, in dem Deutsche so willkommen sind, wie sonst wohl nirgends auf der Welt.
Warum haben Sie sich dafür entschieden ihre Bücher zu schreiben, wollten Sie auch aufgrund der eigenen Biografie und Herkunft mit einigen Vorurteilen über den Iran aufräumen?
Ja, denn wenn wir etwas über Iran hören, dann hören wir in erster Linie Mullahs, Hasstiraden gegen die USA und Israel, Wüsten und unterdrückte Frauen. Sicher ist vieles am Mullah-Staat zu kritisieren, dennoch ist das Bild verzerrt. Seit George W. Bush 2002 Irak, Iran und Nordkorea zur Achse des Bösen erklärt hatte, wurden im Anschluss systematisch diese Länder als Reich der Bösen mit einer bis dahin beispiellosen PR-Kampagne belegt. Abgesehen von der politischen Lage ist der Iran wirklich ein faszinierendes Land, facettenreich und geheimnisvoll. Natürlich gibt es eine Linie, die man nicht überschreiten darf; es gibt Repressionen, das darf man nicht vergessen. Aber unterhalb dieser Regimeebene gibt es einen ganz gut funktionierenden Alltag, den ich bei meinen vielen Aufenthalten im Iran am eigenen Leib gespürt und erlebt habe.
Wie oft fahren Sie in den Iran? Könnten Sie sich vorstellen dort dauerhaft zu leben?
Ich fahre ein bis zweimal im Jahr in meine „zweite Heimat“. Gerne würde ich jeweils ein paar Monate in Teheran und in Deutschland leben. Da ich beide Staatsbürgerschaften besitze, wäre das formal auch kein Problem. In Teheran, eine Stadt mit 15 Millionen Einwohnern, habe ich Freunde und da kenne ich mich aus. Klar, es gibt schönere Ecken, aber da wäre ich vielleicht zu einsam.
Sie sind als Deutsch-Iranerin zwischen den Kulturen aufgewachsen – wo sehen Sie die größten kulturellen Unterschiede zwischen den Ländern? Herrscht im Iran eine völlig andere Lebensart?
Das Land kann auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken. In der Vergangenheit gab es nicht einen einzigen Krieg, der von den Iranern angefacht wurde. Obgleich Amerikaner und Engländer aus wirtschaftlichen Gründen dem Iran oft böse mitgespielt haben und trotz der Reaktionen durch Hasspredigten der Mullahs gibt es eine große Bereitschaft der Menschen zu einem friedlichen und produktiven Miteinander für eine bessere Zukunft. Nach den völlig überzogenen Sanktionen in der Vergangenheit sollten vor allem die Europäer erkennen, das Iran der Stabilisator im Mittleren Osten ist, der durch seine Einstellung zum Leben dort für eine friedliche und produktive Koexistenz sorgen kann und dass ohne dieses Land keine friedliche Zukunft möglich ist. Schließlich liegen im Iran – dem ehemaligen Persien – die Wurzeln der europäischen Kultur. Und diese gemeinsame Basis sollte aufgebaut und gefördert werden. Die Iraner sind zudem – und wie gesagt gegenüber Deutschen insbesondere – ein gastfreundliches, humorvolles, warmherziges Volk.
Frauen dürfen im Iran nur mit Erlaubnis Ihrer Männer arbeiten und ins Ausland reisen, ihre Rechte sind vor Gericht oft nur die Hälfte wert – auf der anderen Seite stellen sie die Mehrzahl der Studierenden, kandidieren als Staatsoberhaupt und fahren professionell Motocross – wie passen diese Gegensätze zusammen?
Mit Vorurteilen anreisende westliche Touristen werden erstaunlich schnell das Gefühl los, dass die Frauen mit Kopftuch die zweite Geige in der Gesellschaft spielen. Auch ich bin auf meinen zahlreichen Reisen durch meine zweite Heimat vielen willensstarken und selbstbewussten Frauen begegnet, die ihren Männer auf die eine oder andere Art und Weise gesagt haben, wo es langgeht. Also die Rechte der Frauen werden mehr als respektiert, es klingt in den Ohren und Augen der westlichen Welt vielleicht etwas paradox, weil die Kleiderordnung verwirrt. Diese wird je nach Gegend mehr oder weniger streng gehandhabt: In den Pilger-Städten wie Ghom oder Mashad ist man sehr streng, in den großen Städten wie Shiraz oder Isfahan wird es eher locker getragen, im Norden von Teheran ist es nur noch symbolhaft angedeutet. Aber es wird generell von den Frauen nicht als Unterdrückungssymbol gesehen. Andererseits gibt es auch Schatten: Beispiel: Das geltende Scheidungsrecht benachteiligt die Frauen in einer völlig unakzeptablen Weise.
In westlichen Medien liest man in den vergangenen Monaten wieder vermehrt von einer Tugendpolizei, die Frauen bestraft, wenn ihr Kopftuch nicht richtig sitzt – dann werden Autos beschlagnahmt und Bußgelder verteilt – zudem hat Rohani in sein neues Kabinett keine Frau berufen.
Ja, liest man. Fakt ist: Die Zahl der Sittenwächter ist seit dem Machtantritt von Rohani deutlich spürbar zurückgegangen. Die meisten Iranerinnen würden niemals ungeschminkt aus dem Haus gehen. Sie sind alle schön zurechtgemacht und kennen die neuesten Schmink- und Modetipps aus westlichen Magazinen. Sie machen sich nicht nur hübsch fürs Straßencafé oder die private Party am Abend. Auch zum Einkaufen und für den Hörsaal greifen sie tief in die Kosmetiktöpfe. Die Schönheitssalons boomen, die Kopftücher rutschen. Beim Wettbewerb um die Bewerbung eines Studienplatzes belegen die Frauen jedes Jahr die vorderen Plätze, in Naturwissenschaften, Sprachen, Kunst. Und sie machen die besseren Abschlüsse. In einigen Studienfächern ist eine Frauenquote vorgeschrieben, kein Wunder, dass es mehr Frauen in Führungspositionen gibt, als in Deutschland. Und sie fahren Fahrrad, sie wandern gern und sie machen oft Picknick in einem der großen Parks von Teheran. Entlang der Wege durch die Parkanlagen stehen stabile Fitnessgeräte, an denen jeder kostenlos trainieren kann. Sogar verschleierte Frauen treiben hier Sport. Dass die Frauen gemeinsam mit den Männern Sport machen, sehen die Mullahs nicht gern. In den großen Städten gibt es deshalb eigene Frauensportzentren mit Schwimmhalle, Volleyball, Badminton oder Tennis.
Ist der von Ihnen beschriebene Aufbruch schon vorbei – geht es im Iran nun in eine andere Richtung, oder ist es die von Ihnen viel zitierte falsche Darstellung westlicher Medien vom Iran?
In der Islamischen Republik Iran wächst eine Jugend heran, die wissbegierig ist, die bereit ist zu lernen. Und sie sind stolz darauf, Iraner zu sein, stolz auf ihre Kultur, ihren Glauben und ihre Traditionen. Die Menschen wollen zeigen, dass ihr Land anders ist, als viele glauben. „Denn Iran ist nicht so, wie es die Presse und Medien darstellen“, lautet der immer wieder kehrende Satz bei Gesprächen mit den Iranern. Sie wollen den Ausländern das wirkliche Bild vermitteln und zeigen, dass sie mit der Welt auf Augenhöhe zusammenarbeiten wollen. Ihre Mentalität ist nicht gleichzustellen mit den Ajatollahs und der gesamten Geistlichkeit. Und Iran wird auch diese Phase überwinden, wo in der Welt gibt es bei vergleichsweise freien Wahlen Wahlbeteiligungen von rund 80 Prozent? Die Menschen sind sehr modern in ihrer Denkweise und sie wünschen sich einen vorsichtigen Wandel. Vieles passiert hinter den eigenen vier Wänden, noch ganz versteckt und heimlich.
Wie würden Sie die aktuelle Lage der Frauen im Iran beschreiben? Wie steht es um die Frauenrechte in muslimischen Ländern? Gibt es aus Ihrer Sicht von Land zu Land gravierende Unterschiede?
Frauen, die um ihre Rechte kämpfen, gab es schon lange in muslimischen Ländern. Anfangs kämpften sie Seite an Seite mit ihren Männern für die Unabhängigkeit von Kolonialmächten sowie für Fortschritt und Reformen. Doch später ging es Generationen von muslimischen Frauenrechtlerinnen hauptsächlich um ihr Wahlrecht, um politische Partizipation, das Recht auf schulische wie universitäre Bildung und um das Recht, einen Beruf auszuüben. Zu jener Zeit waren sie eher säkular ausgerichtet und haben sich gegen die Einführung der „Scharia“ des islamischen Rechts, ausgesprochen. Später haben sich jedoch auch innerhalb der islamischen Bewegungen Frauen stark gemacht und forderten ihre Rechte im Rahmen ihrer Religion. Ob säkular begründet oder religiös: Besonders umstritten sind die vom islamischen Gesetzt bestimmten Vorschriften, die Heirat, Scheidung und Kinderversorgung regulieren. Die Frauen im Iran haben im Vergleich zu den anderen Ländern des Persischen Golfes und des Mittelmeeres viel mehr Rechte. In Saudi Arabien zum Beispiel dürfen Frauen nicht einmal wählen oder in der Regierung arbeiten. Autofahren schon gar nicht. Im Iran sitzen Frauen im Parlament und in vielen Führungspositionen von Wirtschaft und Verwaltung
Sie haben selbst als Journalistin im Iran gearbeitet, welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht, auch in Bezug auf die Pressefreiheit?
Ich habe für einige Wochen bei Radio IRIB – dem staatlichen Sender – für die Deutsche Redaktion gearbeitet. 30 Mitarbeiter sind in der Redaktion beschäftigt. Die meisten haben einige Jahre in Deutschland gelebt oder sind Halbiraner, so wie ich, und beherrschen beide Sprachen. Das ist Voraussetzung, um dort arbeiten zu können. An meinem ersten Tag schickte mein Chef mich gleich zum Pressebüro, wo ich mich offiziell als Journalistin anmelden sollte. Dreimal ging ich dort hin, allerdings ohne Erfolg. Seitdem arbeite ich immer ohne offizielle Genehmigung. Aber es ist kein Problem, denn ich kann überall Interviews führen. Viele Frauen bei Radio IRIB arbeiten sogar von zu Hause aus. Sie melden sich per Computer im Redaktionssystem an und schreiben oder übersetzen Nachrichten. Auch ich habe zwei Jahre lang von Deutschland aus für die Deutsche Redaktion gearbeitet.
Welche Vorurteile bekommen Sie immer wieder zu hören, wenn Sie über den Iran sprechen und wie ist das Land aus Ihrer Sicht wirklich?
Jedes Mal, wenn ich nach Iran reise, reagiert mein Umfeld ganz unterschiedlich. Manche gucken mich mit großen Augen an und sagen: „Bist du verrückt, das ist doch viel zu gefährlich“ andere wiederum beneiden mich: „Oh wie aufregend, viel Spaß, nimm mich mit“. Immer wieder geben meine Freunde aus Teheran mir mit auf dem Weg: „Sag den Deutschen, das es in Iran anders ist“. Der Iran wird leider oft einseitig dargestellt. Nur wenige wissen, dass es im Iran viele Juden gibt, mit eigenen Synagogen und Schulen. Es besteht auch das Vorurteil, dass Frauen viele Dinge nicht dürfen. Der Westen hat meist nur ein Bild vom Iran im Kopf: Graubärtige Männer in Führungspositionen, die versuchen, Politik zu machen und über das Atomprogramm zu verhandeln. An den Konferenztischen sitzt keine einzige Frau, wenn über die Zukunft des Landes entschieden wird. So zeigt sich der Iran – und wir im Westen nehmen es so hin. Die Frauen haben ihr Kopftuch zu tragen und ansonsten ist ihre Meinung nicht gefragt. Doch die Realität sieht anders aus. An den Universitäten beispielsweise herrscht sogar eine Frauenquote von mehr als 60 Prozent.
Lohnt sich ein Urlaub im Iran? Was kann man erleben und ist es sicher dort hin zu fahren?
Ein Urlaub lohnt sich allemal. Iran ist in meinen Augen ein unglaublich schönes Land und wohl das sicherste weltweit. Die Gesellschaft, der Alltag und die Politik polarisieren und faszinieren zugleich. Iran ist aber auch ein Land mit alter Kultur und fast fünf Mal so groß wie Deutschland. Die „persische Hochkultur“ ist noch überall zu spüren, auch wenn die Regierung sich wenig für den Erhalt seiner Kulturschätze einsetzt. Die Liste der Sehenswürdigkeiten ist lang: Die blaue Moschee von Isfahan, die Stadt Shiraz, in der die bedeutenden Dichter Hafez und Saadi begraben sind oder Persepolis. Aber auch der Moloch Teheran mit seinen wahrscheinlich 15 Millionen Einwohnern, seiner verpesteten Luft, seinem Netz von Stadtautobahnen ist reich an Stätten, deren Besuch sich lohnt.
Ein weiterer Grund für eine Reise in den Iran sind die vielfältigen Landschaften. Manche denken, dass es hier nichts als Wüste und Trockenheit gibt. Aber das stimmt nicht. Als ich mit meiner Familie im Frühjahr 2014 ans Kaspische Meer gefahren bin, mussten wir das Elburs-Gebirge überwinden. Der höchste Punkt der Passstraße lag oberhalb von 2000 Metern. Hier sah es genauso aus wie in der Schweiz: satt-grüne Wälder, die sich mit üppigen Almwiesen abwechselten. Nördlich des Elburs-Gebirges gibt es statt trockener Wüstenlandschaften auch subtropische Sumpf- und Urwaldgebiete. Andererseits können die Iraner und Touristen nur zwei Autostunden von Teheran mehrere Monate im Jahr auf fast 4000 Metern Höhe in feinsten Pulverschnee und bei blauem Himmel Ski fahren, mein Mann ist noch heute begeistert. Hier erinnert kaum etwas an das streng-muslimische System der Mullahs. Die jungen Frauen und Männer tragen die neueste Skimode.
In Deutschland gibt es Klagen, weil Frauen das Kopftuch nicht auf der Arbeit tragen dürfen, im Iran wünscht sich ein Teil der weiblichen Bevölkerung das Kleidungsstück abzulegen, darf es aber nicht – macht Sie so etwas wütend? Oder ist das Kopftuch für Sie kein klares Zeichen für Unterdrückung?
Auch hier sieht die Realität in vielerlei Beziehung ganz anders aus. Natürlich lassen einige Frauenrechte immer noch zu wünschen übrig, aber es hat sich bereits viel geändert. Meine Einschätzung: Wenn morgen die Kopftuchpflicht fiele, würden mehr als die Hälfte der Frauen diese weiter tragen. Noch ein Beispiel: die überwiegende Anzahl der Studenten ist weiblich und der Anteil der Professorinnen ist höher als in Deutschland. Das meist modische Kopftuch rutscht immer öfter nach hinten.
Wie stehen Sie generell zum islamischen Glauben?
Auf dem Papier bin ich zwar Muslimin, aber ich lebe das nicht. Da mein Vater überhaupt nicht religiös war, hat er mich und meine Brüder in der Beziehung auch frei erzogen. Als er 20 Jahre alt wurde, hat er aufgehört zu beten, weil er nicht mehr morgens um vier Uhr aufstehen wollte.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Iran?
Ich wünsche mir für Iran einen guten Weg zu mehr Freiheit und einer friedvollen Zukunft. Das Land hat so viel Potenzial. Ich wünsche mir, dass es im Ausland mehr wahrgenommen wird.