Das Verbot des Tragens jeder sichtbaren Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen kann durch das Bedürfnis des Arbeitgebers gerechtfertigt sein, gegenüber den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln oder soziale Konflikte zu vermeiden
Diese Rechtfertigung muss jedoch einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entsprechen, und die nationalen Gerichte können im Rahmen des Ausgleichs der in Rede stehenden Rechte und Interessen dem Kontext ihres jeweiligen Mitgliedstaats, und insbesondere den in Bezug auf den Schutz der Religionsfreiheit günstigeren nationalen Vorschriften, Rechnung tragen, so der EuGH in zwei Entscheidungen vom 15.07.2021 (C-804/18 und C-341/19).
Hier kommen die Details.
Zwei Musliminnen war bei unterschiedlichen Arbeitgebern das Tragen eines Kopftuches während der Arbeitszeit verboten worden.
In dem einen Rechtsstreit ging es um eine Frau, die seit 2002 bei einer Drogerie als Kundenberaterin und Kassiererin gearbeitet hatte. Nach dem Ende ihrer Elternzeit in 2014 wollte sie plötzlich ein Kopftuch tragen. Die Drogerie erteilte die Weisung, „ohne auffällige großflächige Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen“ zur Arbeit zu erscheinen. Diese Weisung deutet darauf hin, dass sich die Drogerie sehr früh in die Hände juristisch versierter Personen begeben hat…
Der andere Rechtsstreit betraf eine Heilerziehungspflegerin, die bei einem gemeinnützigen Verein tätig war, der Kindertagesstätten betreibt. Sie trug seit 2016 ein Kopftuch und auch sie ging in Elternzeit. Während dieser Zeit der Abwesenheit der späteren Klägerin erließ der Verein eine Dienstanweisung, die mit der der vorgenannten Drogerie identisch war, betraf allerdings nur Beschäftigte mit Kundenkontakt.
Die Entscheidung führte in der Tagespresse zu Überschriften dergestalt, dass Kopftuchverbote jetzt rechtens seien. Dies ist aber nicht zutreffend. Der EuGH billigt zwar eine betriebliche Neutralitätspolitik als unternehmerisches Ziel, allerdings nur, wenn es hierfür „ein wirkliches Bedürfnis“ gibt.
Das BAG hatte bereits mit Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 472/01 – entschieden, dass ein Kopftuchverbot für eine Verkäuferin im Kaufhaus nur bei wirtschaftlichen Einbußen durch entsprechendes Kundenverhalten respektive Kundenwünsche rechtmäßig ist. Es spricht daher einiges dafür, dass sich an der bisherigen Rechtsprechung nichts ändern wird.