Amtlicher Leitsatz:
Erhebt ein Arbeitnehmer gegenüber der Betriebsleitung bzw. seinem Arbeitgeber schwerwiegende Vorwürfe wie der Ausbeutung, der Altersdiskriminierung, der Ungleichbehandlung, des Mobbings, der Begehung von Gesetzesverstößen, von schweren Straftaten, der Verletzung von Arbeitnehmerrechten, der Gesundheit, der Würde, der Menschenrechte, die auf keinerlei Tatsachen gestützt werden können, liegen Ehrverletzungen vor, welche geeignet sein können, eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige gleichgelagerte Abmahnung begründen zu können.
Sachverhalt
Die Parteien stritten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die hilfsweise auch als ordentliche Kündigung erklärt worden war.
Der 42jährige verheiratete, zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit Anfang des Jahres 2019 bei der Beklagten, welche als Franchisenehmerin zwei Restaurants betreibt, als Pasta-/Pizzabäcker beschäftigt.
Der Kläger hat zu Lasten der Geschäftsleitung der Beklagten bzw. der Beklagten mehrfach u. a. in Mails schwerwiegende Vorwürfe, z.B. die Begehung von Gesetzesverstößen und von schweren Straftaten erhoben. So bezichtigte der Kläger die Beklagte sowie deren Geschäftsleitung der Diskriminierung aus sozialen oder ethnischen Gründen bzw. wegen des Alters, der Ausbeutung, des Menschenhandels, der Verletzung der Unantastbarkeit seiner Wohnung sowie mangelnder Arbeitssicherheit und einer Gesundheitsgefährdung ihrer Beschäftigten, welche zu einem Arbeitsunfall geführt habe. Dabei erfolgte die Erhebung dieser Vorwürfe nicht nur gegenüber der Beklagten selbst, sondern u. a. auch gegenüber Beschäftigten der Franchisegeberin. Für die von ihm erhobenen Vorwürfe konnte der Kläger jedoch weder konkrete Handlungen noch pflichtwidriges Unterlassen der Beklagten bzw. von deren Geschäftsleitung benennen, welche geeignet gewesen wären derartige Vorwürfe zu stützen bzw. auch nur ansatzweise als berechtigt erscheinen zu lassen.
Verfahrensgang
Das ArbG gab der Kündigungsschutzklage des Klägers statt, während das LAG das Urteil des ArbG aufhob und die Kündigungsschutzklage abwies.
Entscheidung (neben weiteren Entscheidungsgründen)
Das LAG weist in seinem Urteil auf die Rechtslage nach höchstrichterlicher Rechtsprechung hin, wonach grobe Beleidigungen des Unternehmens oder seiner Vertreter, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für die Betroffenen bedeuten, Kündigungsgründe „an sich“ darstellen. Der Arbeitnehmer kann sich dann nicht erfolgreich auf sein grundrechtlich geschütztes Recht auf freie Meinungsäußerung berufen. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die u. a. zur Untergrabung der Position der Vorgesetzten oder des Unternehmens führen können, muss das Unternehmen nicht hinnehmen. Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je unüberlegter sie erfolgt. Schmähkritik genießt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht den grundgesetzlichen Schutz der freien Meinungsäußerung. Eine Schmähung ist eine Äußerung – unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext – jedoch nur dann, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung im Vordergrund steht. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Für eine bewusst falsche Tatsachenbehauptung kann sich der Arbeitnehmer nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst.
Vor diesem Hintergrund sah das LAG durch das Verhalten des Klägers die Grenzen zur unzulässigen Schmähkritik überschritten. Es ginge dem Kläger allein um die Diffamierung der Beklagten und ihrer Betriebsleitung. Die Unterstellung krimineller Machenschaften wie z.B. Menschenhandel stelle eine grobe Beleidigung dar. Irgendeine sachliche Auseinandersetzung liege nicht vor. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte, welche die klägerischen Äußerungen als Kritikausübung und die erhobenen Vorhalte als lediglich überzogen qualifizieren lassen könnten. Der Kläger habe mit Erhebung dieser Vorwürfe seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Beklagten in einem groben Ausmaß verletzt.