Krank nach Kündigung – Ein (Ausnahme)fall aus der Praxis

Die AGV-Rechtstipps

13.08.2018

Nicht selten ist zu beobachten, dass Arbeitnehmer, nachdem das Arbeitsverhältnis gekündigt wurde, arbeitsunfähig erkranken und dieses dem Arbeitgeber durch eine entsprechende ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachweisen. Beim Arbeitgeber bleibt dann manchmal das ungute Gefühl zurück, dass tatsächlich keine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, der Arbeitnehmer diese vielmehr nur vortäuscht. Da eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt, verfolgen Arbeitgeber häufig den Verdacht einer mutmaßlich vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit und der sich daraus ergebenden möglichen Rechtsfolgen – insbesondere außerordentliche verhaltensbedingte Verdachtskündigung und/oder Verweigerung der Entgelt(fort)zahlung – nicht weiter. In den allermeisten Fällen dürfte der Arbeitgeber mit einer solchen Zurückhaltung auch richtig liegen. Denn die Erfolgsaussichten, sich mit einer außerordentlichen verhaltensbedingten Verdachtskündigung und/oder einer Verweigerung der Entgelt(fort)zahlung ggf. vor Gericht bei einer solchen Konstellation letztlich erfolgreich durchzusetzen, sind für den Arbeitgeber in aller Regel gering. In Ausnahmefällen kann sich eine entsprechende Verteidigungshaltung dennoch lohnen, wie folgender Fall zeigt.

 

Eine Arbeitnehmerin hatte bei einem Mitgliedsunternehmen das Arbeitsverhältnis von sich aus unter Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt. 6 Wochen vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zeigte die Arbeitnehmerin gegenüber dem Mitgliedsunternehmen eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung an und legte zeitgerechte eine ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für einen ersten Zeitraum von 3 Wochen und nachfolgend eine ärztliche Folgebescheinigung für einen weiteren Zeitraum von 3 Wochen vor. Im Ergebnis erschien die Arbeitnehmerin deshalb die letzten 6 Wochen des Bestehens des Arbeitsverhältnisses nicht mehr am Arbeitsplatz. An ihrem letzten tatsächlichen Arbeitstag – also dem letzten Arbeitstag vor dem Beginn der behaupteten Arbeitsunfähigkeit – nahm die Arbeitnehmerin von ihrem Arbeitsplatz ihre persönlichen Gegenstände (Kaffeetasse und Bild ihrer Kinder) mit und verfasste – wie sich später herausstellte – eine interne Verabschiedungsmail an ihre Kollegen und Kolleginnen, welche sie bereits an dem tatsächlich letzten Arbeitstag versandte, jedoch unter Nutzung einer Einstellung des E-Mail-Programms zur verzögerten Versendung, so dass die entsprechende Verabschiedungsmail erst ca. 3 Tage vor dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses den Kolleginnen und Kollegen zuging.

 

Vor diesem Hintergrund weigerte sich das Mitgliedsunternehmen Entgeltfortzahlung für die 6 Wochen zu leisten, weil es die Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin anzweifelte. Den MDK schaltete das Mitgliedsunternehmen nicht ein. Insoweit hatte bereits das LAG Hamm in einem anderen Rechtsstreit mit Urteil vom 9.4.2008 (18 Sa 1938/07) entschieden, dass die Inanspruchnahme des MDK durch den Arbeitgeber keine zwingende Voraussetzung für die Verweigerung der Entgeltfortzahlung ist (im Rahmen einer Verdachtskündigung mag dieses anders zu bewerten sein). Die Arbeitnehmerin verklagte das Mitgliedsunternehmen daraufhin auf Entgeltfortzahlung vor dem Arbeitsgericht unter der Behauptung wegen einer temporären psychischen Überanstrengung arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein und berief sich auf die vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Beweis für eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung. Das Mitgliedsunternehmen zweifelte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor Gericht hingegen an.

 

Das arbeitsgerichtliche Verfahren spielte sich dabei insbesondere vor folgendem rechtlichen Hintergrund ab: Begehrt ein Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist er u.a. für das Vorliegen einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung darlegungs- und beweisbelastet. Dieser Darlegungs- und Beweislast kann der Arbeitnehmer in der Regel schlicht dadurch nachkommen, dass er eine entsprechend ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt. Denn die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich vorgesehene Nachweismittel, mit dem der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren Dauer nachweist, so dass einer solchen Bescheinigung ein hoher Beweiswert zukommt (BAG, Urteil v. 19.2.1997, 5 AZR 83/96).

 

Bestreitet der Arbeitgeber trotz der vorgelegten ordnungsgemäß erteilten ärztlichen Bescheinigung die Arbeitsunfähigkeit, muss er Tatsachen vortragen, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen und dadurch den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erschüttern, wobei sich solche ernsthafte Zweifel aus der Bescheinigung selbst, aus tatsächlichen Umständen ihres Zustandekommens oder aus tatsächlichen Verhaltensweisen des Arbeitnehmers ergeben können (BAG, aaO). Gelingt es dem Arbeitgeber solche ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit darzulegen, reicht die vorgelegte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Beweismittel nicht mehr aus. Vielmehr muss der Arbeitnehmer nunmehr die von ihm behauptete zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung darlegen und Beweis für deren Vorliegen erbringen. Letzteres geschieht i.d.R. durch die Benennung des Arztes, der die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hat, als „Beweismittel“. Dieser ist dann durch das Gericht ggf. als sachverständiger Zeuge zu vernehmen. Dabei hat der Arzt u.a. seine Diagnose zu erläutern und zwar aufgrund der von ihm erhobenen Befunde. Dieses mag meistens gelingen, jedoch vermutlich nicht immer.

 

Das Arbeitsgericht entschied vor diesen rechtlichen Hintergründen erstinstanzlich, dass das Mitgliedsunternehmen zur Entgeltfortzahlung verpflichtet sei und verurteilte es zur entsprechenden Zahlung. Eine Erschütterung des Beweiswertes der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch das Verhalten der Klägerin und die äußeren Umstände sah das Arbeitsgericht nicht, so dass es auf die Befragung des Arztes folgerichtig nicht ankam.

 

Das Mitgliedsunternehmen ließ gegen dieses Urteil Berufung zum Landesarbeitsgericht einlegen. In der Berufungsverhandlung gab die Kammer des Landesarbeitsgerichts deutlich zu erkennen, dass es der Argumentation des erstinstanzlichen Arbeitsgerichts nicht folgen und vielmehr den Beweiswert der vorgelegten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als erschüttert ansehen würde, so dass sich unter Umständen die Befragung des bescheinigenden Arztes als notwendig erweisen könnte. Unabhängig von diesem prozessualen Zwischenerfolg für das Mitgliedsunternehmen deutete die Kammer des Landesarbeitsgerichts aber eine weitere Problematik für den behaupteten Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin an. Es wäre nämlich zuvor zu prüfen, ob die Klägerin in der Zeit der streitigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit überhaupt leistungsbereit gewesen sei, also im Falle ihrer Arbeitsfähigkeit bereit gewesen wäre, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Vor dem Hintergrund, dass sie an ihrem tatsächlich letzten Arbeitstag gut 6 Wochen vor Ende des Arbeitsverhältnisses bereits ihren Arbeitsplatz vollständig geräumt und ihre Verabschiedungsmail auf den Weg gebracht habe, könnten an einer solchen Leistungsbereitschaft Zweifel bestehen, weil eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung für einen Zeitraum von insgesamt 6 Wochen im konkreten Fall für die Arbeitnehmerin seinerzeit sicherlich nicht absehbar gewesen sei. Würde die Kammer des Landesarbeitsgericht aufgrund dieser Umstände zu der Überzeugung gelangen, dass seitens der Klägerin – unabhängig von der behaupteten Erkrankung – überhaupt keine Bereitschaft mehr vorgelegen habe zur Arbeit zu erscheinen, würde in keinem Fall ein Entgeltfortzahlungsanspruch bestehen, auch nicht im Falle tatsächlich vorliegender Arbeitsunfähigkeit. Denn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit müsse zur Bejahung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs monokausal für die Nichterbringung der Arbeitsleistung sein. Lägen hingegen neben der Arbeitsunfähigkeit auch weitere Gründe für die Nichterbringung der Arbeitsleistung vor, z.B. mangelnder Arbeitswille der Arbeitnehmerin, käme ein Entgeltfortzahlungsanspruch nicht in Betracht.

 

Da für beide Parteien der Ausgang des Verfahrens in der zweiten Instanz nicht sicher abschätzbar war, vereinbarten die Parteien in einem Vergleich, dass das Mitgliedsunternehmen der Arbeitnehmerin nur teilweise Entgeltfortzahlung leistete; insoweit zumindest ein wirtschaftlicher Teilerfolg auf Arbeitgeberseite. Das Landesarbeitsgericht musste in der Sache nicht mehr entscheiden.

 

Diesem Rechtsstreit mag entnommen werden, dass ein Arbeitgeber in besonders gelagerten Ausnahmefällen durchaus erfolgreich oder zumindest teilerfolgreich auf entsprechende Sachverhalte reagieren kann.

 

Von Martin Pessara