Ist das `ne Paradoxie oder kann das weg?

Expertenrat

19.06.2020

Kommt Ihnen das bekannt vor? Sie haben im Vorstand strategische Ziele für das Jahr 2022 beschlossen und im nächsten Atemzug werden die Ziele von der kaufmännischen Realität gefressen. Oder: Sie entscheiden, einen Standort zu verlagern und gleichzeitig führt Ihre IT ein neues Warenwirtschaftssystem in eben jenem Standort ein. Das sind Situationen in denen Sie sich als Verantwortlicher oder Verantwortliche für ein Unternehmen an den Kopf fassen und insgeheim denken: „Das kann doch nicht wahr sein.“  Ist es aber.

Nicht nur in Zeiten von Corona führen Paradoxien zu ‚stop and go‘ – Entwicklungen im Unternehmen. Sie strapazieren die Nerven und sorgen im besten Fall für Unverständnis, im schlimmsten Fall für Streit und schlechte Stimmung. Dabei kann ein anderer Blick auf Paradoxien den Umgang mit ihnen erleichtern.

Was sind Paradoxien?

Paradoxien sind eine Vielzahl widersprüchlicher Anforderungen, die durch Logik und Rationalität allein nicht zu lösen sind. Sie entstehen im Zusammenwirken von in sich logischen und rationalen Systemen, wie zum Beispiel Strategie und Risikomanagement. Es gibt auf der Ebene, auf der die Paradoxien entstehen, keine win-win-Lösung, sondern es gibt immer eine positive und eine negative Folge. Aus den Paradoxien entstehen dann Zielkonflikte, die es zu managen gilt.

Haben Paradoxien eine Funktion?

Autos können nicht gleichzeitig vorwärts und rückwärts fahren. Windräder können nicht gleichzeitig rechtsrum und linksrum drehen. Aber Organisationen können das. Organisationen können gleichzeitig strategische und operative Ziele verfolgen, die im Widerspruch stehen. Sie können gleichzeitig daran arbeiten, ein agiles Mindset im Unternehmen zu implementieren, das eine hohe Innovations- und Adaptationsfähigkeit ermöglicht. Gleichzeitig kann ein an harten Regeln gebundenes mehrstufiges Compliance System eingeführt werden. Die Forderung nach schnellen Entscheidungen in kleinen Schritten bei gleichzeitig langwierigen juristischen Prüfungen lässt bei vielen auf der operativen Ebene die Emotionen hochkochen. Beide Systeme sind jedoch in sich stimmig und für die Existenz des Unternehmens notwendig. Das bedeutet, Organisationen produzieren notwendigerweise Paradoxien, um zu überleben. Sie sind also völlig normal. Sollen beide Anforderungen jedoch zeitgleich gelöst werden, entstehen aus Paradoxien für die handelnden Personen Dilemmata.

Wo entstehen Paradoxien?

Während auf der strategischen Ebene rationale Entscheidungen getroffen werden, die widerspruchsfrei zu sein scheinen, entstehen die Paradoxien überwiegend im mittleren Management sowie bei den Experten und Mitarbeitern. Hier treffen die abstrakten Entscheidungen auf die Umsetzungsrealitäten. Das führt dazu, dass ab der mittleren Managementebene Führungskräfte, sowie Experten und Mitarbeiter versuchen, die Paradoxien aufzulösen, die nicht aufzulösen sind. Paradoxien können für sich stehen. Das Dilemma jedoch entsteht für die Betroffenen durch die Erwartung, das Unvereinbare aufzulösen und zu handeln.

Wie wirken Paradoxien und was verstärkt sie?

Der Versuch Paradoxien zu lösen, die nicht zu lösen sind, führt zu unterschiedlichen Reaktionen bei den Beteiligten: Eine Gruppe leugnet womöglich deren Existenz. Sie leugnet die Tatsache, dass sie sich in einem Dilemma befindet und fokussiert sich ausschließlich auf ihren eigenen Bereich. Das kann zu einem Silodenken führen und an anderen Ecken vermehrt Konflikte hervorbringen.

Eine andere Gruppe geht in die Überlastung, weil sie lösen möchte, was nicht zu lösen ist. Eine dritte Gruppe wird möglicherweise zynisch, eine vierte Gruppe resigniert. Und eine fünfte Gruppe akzeptiert vielleicht aufgrund langjähriger Erfahrung die Paradoxien und geht gelassen mit ihnen um.

Es gibt bestimmte Faktoren, die die Wirkungen von Paradoxien verstärken:

Auf der Organisationsebene sind das:

  • Begrenzte Ressourcen und fehlende Information und Kompetenz
  • In Entscheidungen nicht involviert sein
  • Hakende Prozesse

Auf der Ebene der Zusammenarbeit:

  • Doublebind Situationen (widersprüchliche Verhaltensweisen und Signale ein und derselben Person, die für andere nicht aufzulösen sind): „ich brauche dich und kann dich nicht ausstehen“
  • Intransparente Kommunikation und Konflikte

Auf der persönlichen Ebene:

  • Unhinterfragte selbst gesetzte Ziele
  • Angenommene fehlende Alternativen
  • Angenommene fehlende Handlungs- und Verhandlungsmöglichkeiten
  • Ökonomischer Druck und angenommene wirtschaftliche Folgen

Was hilft im Umgang mit Paradoxien?

Auf allen drei Ebenen lassen sich die Auswirkungen von Paradoxien abmildern:

Auf der persönlichen Ebene und auf der Ebene der Zusammenarbeit können Sie für sich etwas tun. Auf der Organisationsebene geht es darum, sich der Paradoxien und deren Wirkungen bewusst zu sein und gegenzusteuern.

Was kann ich für mich tun?

Ich kann mich selbst hinterfragen, ob ich eine Schere im Kopf habe. Treffen meine Annahmen zu oder gibt es andere Betrachtungsweisen?

Bin ich für das verantwortlich, wofür ich mich verantwortlich fühle?

Kann ich mit Sicherheit die zukünftigen wirtschaftlichen Folgen vorhersehen, die meine Entscheidung im Hier und Jetzt beeinflussen?

In welchem Ausmaß habe ich meine Arbeitserfahrung im Umgang mit kritischen Situationen bewusst reflektiert?

Habe ich meine Wahrnehmung hinsichtlich der Paradoxien und daraus erwachsenen Dilemmata mit der Wahrnehmung anderer abgeglichen?

Welche Möglichkeiten habe ich, in die innere Distanz zu gehen?

Was kann ich für eine gute Zusammenarbeit tun?

Folgende Fragen kann ich mir stellen, um die Wirkung von Paradoxien auf die Zusammenarbeit abzumildern.

Was ist mein Beitrag zu einer offenen Kooperations- und Diskussionskultur?

Wie empathisch kann ich sein?

Wie gut gelingt es mir, meine Gedanken, Gefühle und Informationen mit anderen zu teilen?

Wie gut sind wir horizontal und vertikal vernetzt und wissen umeinander?

Die Beschäftigung mit diesen Fragen kann der Einstieg in einen Perspektivwechsel sein. Statt die Ursache von Konflikten allein in den persönlichen Verhaltensweisen und Einstellungen anderer zu suchen, macht es Sinn, ein besseres Verständnis für vorhandene Paradoxien zu erlangen. Unterm Strich kann man sagen: Paradoxien haben keine Absicht, weder eine gute noch ein schlechte, sie sind einfach da und man kann bewusst mit den Wirkungen der Paradoxien umgehen. Gleichzeitig sind Paradoxien ein Indikator für den grundlegenden Wandel in den Unternehmen.

 

Wir gehen davon aus, dass Paradoxien allgegenwärtig sind. Wenn Sie mehr im konstruktiven Umgang mit Paradoxien und den daraus erwachsenen Dilemmata für sich und Ihre Mitarbeiter erfahren möchten, freuen wir uns auf Sie.

 

Herzlich Ihr DDBR Consulting Team

Hendrikje Dickschen

Managing Director

Unternehmensberaterin und Coach (PG Cert.  University Chester, UK)

Juliane Dickschen

Geschäftsführerin

Organisationsberaterin