„Ich freue mich, wenn wir als Hidden Champion bezeichnet werden“

Allgemein

08.02.2023

„Man geht nirgendwo hin und bekommt einfach ein Ja. Aber genau dann muss man eben etwas Besseres finden; einen neuen Weg suchen. Diese Einstellung hat uns schon immer geprägt.“ Wenn Dr. Lutz Thomas, Geschäftsführer der Amino GmbH, über die Themen Führungskultur und Innovationskraft des Unternehmens spricht, ist er in seinem Element. Genau diese Begeisterung verbindet ihn auch mit seinem Sohn und Nachfolger Kai-Philipp Thomas.

Der AGV sprach mit beiden über die Bedeutung der Generationennachfolge, neue Produkte in der Welt der Arzneimittelwirkstoffbranche und darüber, wie sich das Unternehmen in Zeiten starker Veränderungen aufstellt.

Frage: Die Amino GmbH entwickelte sich eindrucksvoll zu einem der bedeutendsten europäischen Zulieferer des pharmazeutischen und medizinischen Bereichs. Sie gehören zu den Hidden Champions und sind in Ihrer Branche in Deutschland Marktführer. Warum sind Sie so erfolgreich in Ihrer Nische?

Dr. Lutz Thomas: Ich freue mich immer, wenn wir als Hidden Champion bezeichnet werden, würde uns selbst aber nie als solchen benennen. Ich finde es immer schöner, wenn das ein anderer über uns sagt. Was uns stark in der Nische macht, ist, dass wir in einer Nische tätig sind. In der Rolle des Hidden Champions fühlen wir uns wohl, und dies ist sicher ein Ergebnis unserer Spezialisierung.
Wir konzentrieren uns auf den Bereich der Anwendung von Aminosäuren für die pharmazeutische und die klinisch-diätetische Anwendungen mit dem Ziel, dass wir für die Kunden unserer Kunden über die Aminosäuren einen Beitrag zur Erhaltung oder zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit leisten. Das ist unser Auftrag und nur darauf konzentrieren wir uns. Ich bin davon überzeugt, dass man sich als kleines Unternehmen eine Nische suchen muss, wenn man sich nicht verheben will.

F: Lange war die Herstellung von Aminosäuren ein Nebenprodukt der Flüssigzuckerindustrie. Was hat sich mittlerweile geändert und wo stehen Sie heute?

DLT: Richtig, ursprünglich gehörten wir zur Zuckerindustrie, wir starteten 1958 als Nebengeschäft zur Flüssigzucker-Produktion. Die Aminosäuren waren „nur“ ein Nebenprodukt. Heute überzeugen wir mit natürlich gewonnenen und hochwertig aufbereiteten Aminosäuren unsere Kunden im Pharma- und Medizinbereich weltweit. Wo stehen wir heute? Bei knapp 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und rund 55 Mio. Euro Umsatz in 2022: Der Markt, in dem wir uns bewegen − der der pharmazeutischen Aminosäuren − ist kein Multi-Milliardenmarkt; es sind eher einige hundert Millionen. Insofern sind wir mit unserem Marktanteil weltweit noch lange kein Marktführer. Aber wir sind schon einer der Größeren und global wahrnehmbar.

F: Kreative und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die Voraussetzung für Innovationsfähigkeit. Auf ihre Ideen und ihr Können kommt es an. Bei der Amino GmbH arbeiten Sie insbesondere in den Bereichen Forschung & Entwicklung mit einem jungen Team und viel Eigenverantwortung. Was zeichnet Ihre Führungs- und Unternehmenskultur aus?

DLT: Ich würde sagen: Wir schenken unseren Leuten Vertrauen. Und wir geben unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, auch wenn sie früh anfangen und noch unerfahren sind, Verantwortung. Im Gegenzug erwarten wir natürlich auch, dass sie diese Verantwortung annehmen.

Ich darf Ihnen ein konkretes Beispiel nennen: Durch den steigenden Bedarf in der weiterverarbeitenden Industrie und dem dadurch resultierenden strategischen Wachstum wurde eine Erweiterung unserer Produktion notwendig. Diese sollte durch den Neubau einer Produktionslinie, „Werk 6“ genannt, realisiert werden. Ein großes Investitionsprojekt mit einer Investitionssumme von 30 Mio. Euro − was ungefähr die Hälfte unserer Bilanzsumme zu dieser Zeit ausmachte. Die Projektverantwortung trugen zwei junge Leute im Alter von unter 30 Jahren. Einer davon sitzt hier – nämlich mein Sohn Kai-Philipp. Wir haben ihm und seinem Co-Projektleiter, Herrn Dierking, die Umsetzung zugetraut und sie sich diese wiederum auch. So wird die Kultur von gegenseitigem Vertrauen bei uns gelebt.

Ich mache immer wieder klar, wir sind nur dann erfolgreich, wenn jeder an der Stelle, wo sie oder er arbeitet, einen guten Job macht. Im Herzen sind wir ein Familienunternehmen: Jeder weiß, dass er vom anderen gebraucht wird.

F: Viele NextGens fragen sich, ob sie ins eigene Familienunternehmen einsteigen sollen. Was war Ihre Motivation, Kai-Philipp Thomas, und warum haben Sie für sich diese Entscheidung getroffen?

KPT: Ich war schon als kleines Kind hier im Unternehmen. Spätestens seit meinem Biotechnologie-Studium war dann eine gewisse Prägung klar. Mein Schlüsselmoment war, als ich die Chance für mich gesehen habe, Verantwortung zu übernehmen. Ich wollte nie ein kleines Rädchen in einer Riesenmaschinerie sein; mir war es wichtig, mitgestalten zu können. Dabei ist das 100-prozentige Vertrauen meines Vaters für mich Gold wert.

DLT: Von unserer Seite her war es eine reine Hoffnung; wenn er sich anders entschieden hätte, wäre das auch kein Problem gewesen. Seine Entscheidung, die Geschäftsführung zu übernehmen, war ein klares Bekenntnis, nach innen und außen. Wir haben folgende Absprache getroffen: Er geht in jede Abteilung und lernt alles kennen. Und übernimmt dann die Geschäftsführung, wenn er zu mir sagt, wann ich zuhause bleiben kann. Es soll ein klarer Schnitt sein, den er selbst bestimmt.

F: Wie wirkt sich der Fachkräftemangel in der Helmstedter Region in Bezug auf Ihre Wachstumspläne aus? Wie gehen Sie damit um, haben Sie Lösungsansätze?

DLT: Uns ist klar: Frellstedt ist nicht das Herz der Republik. Wir hatten Mitarbeiter aus Süddeutschland, die gesagt haben: Mir fehlen die Berge (schmunzelt).
Letztendlich punkten wir bei uns mit wechselseitigem Vertrauen und der frühen Übertragung von Verantwortung. Bei uns gestalten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren eigenen Arbeitsplatz − so, wie sie ihn gerne hätten. Als kleineres Unternehmen ist es eine Chance, dass wir uns ein Stückweit differenzieren. Und uns in allen möglichen Facetten als flexibel erweisen. Für kleine Unternehmen heute, die nicht flexibel sind, sehe ich wenig Zukunftschancen. Sie müssen damit leben, dass die Mitarbeiter dann auch irgendwann „flexibel“ sind und sagen: Ich mache jetzt mal etwas anderes.

Wir profitieren vom geografischen Nutzen, dass zwischen Magdeburg und Braunschweig viel Forschung und naturwissenschaftliche Ausbildungen liegen. Deshalb rekrutieren wir im Wesentlichen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Region. Bei unseren Forscherinnen und Forschern allerdings nicht, die kommen aus ganz Deutschland, von Freiburg bis Berlin.

Alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohnen in einem Radius von 50 km um Frellstedt. Wir haben eine ganze Reihe an Leuten, die aus Braunschweig mit dem Zug fahren. Und vom Bahnhof zur Einfahrtsschranke sind es fünf Minuten. Für uns ist eher die Herausforderung, die Leute in der Region zu halten, denn den ländlichen Raum muss man schon mögen. Über die Anbindung hier ist das aber auch ein lösbares Thema.

F: Was gibt es für aktuelle Entwicklungen aus Ihrem Innovationszentrum AminoVation?

DLT: Es existieren 20 Aminosäuren. Irgendwann hatten wir alle 20 Aminosäuren im Sortiment. Dann haben wir uns gefragt: Was kommt danach? Auch ein wichtiger Aspekt in Bezug auf meine Nachfolge. Denn immer nur mehr vom Gleichen zu machen ist für uns nicht so spannend. Deshalb hatten wir uns dazu entschlossen ein zweites Standbein aufzubauen. Man muss da sicher auch die Kirche im Dorf lassen: Wir führen keine Grundlagenforschung für Arzneimittelwirkstoffe durch. Aber wir forschen an neuen Produkten für uns. Dafür wurde das Forschungszentrum von uns in Eigenregie gebaut. Und das ist der Grund gewesen, warum wir in Innovation investiert haben – nicht unbedingt nur für die pharmazeutische Welt, sondern für die Amino GmbH.

F: Wie haben die letzten Monate das Unternehmen verändert. Welche Rolle spielen: Energiepreisentwicklung, Lieferketten etc.?

DLT: Die massiv gestiegenen Energiepreise beeinflussen natürlich auch die Einstandskosten aller Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe. Das treibt wiederum unsere Herstellkosten in die Höhe. Wir haben einen 24/7-Betrieb. Mindestens so wichtig wie die Energiepreise ist aber die Versorgungssicherheit. Hätten wir z. B. zwei Stunden am Tag keinen Strom, könnten wir überhaupt nicht produzieren.

Unsere allererste Sorge galt allerdings den Themen Energieversorgungssicherheit und Planbarkeit. Weil wir eben Gas als Energieträger haben und nicht in erster Linie Strom, kommen wir kurzfristig mit den Erneuerbaren Energien nicht so wirklich weiter. Dass, was wir letztendlich an Wärme brauchen, durch Strom darzustellen, wäre ohne Weiteres so nicht möglich. Unsere Kunden verlassen sich auf unsere Planbarkeit. Unsicheren Liefer- und Logistikketten treten wir durch unseren hohen Bestand an Roh- Hilfs- und Betriebsstoffen entgegen und erhalten uns dadurch auch Flexibilität.

F: Dieser Tage wird viel über Lieferfähigkeiten in der Pharmabranche diskutiert (Stichworte: Schmerzmittel, Produktion in asiatischen Ländern). Betrifft Ihr Unternehmen das? Sehen Sie einem größeren Umbau der Pharmaindustrie entgegen?

DLT: Was die Entwicklung der europäischen Arzneimittelwirkstoffindustrie angeht: Wir hören immer davon, was alles nicht vorhanden ist. Dabei ist es nicht unbedingt die Technologie, die fehlt, sondern man hat Vieles nach Fernost outgesourced. Warum holt man das nicht wieder „nach Hause“?

Wir stehen mit Sicherheit bereit. Zum Beispiel dafür, bei uns mit einem neuen Produkt einzusteigen; das müssen nicht zwingend nur Aminosäuren sein. Das Einzige, was bei uns feststeht: Wir bleiben in unserer Nische. Mit unserem jungen Team von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen suchen wir gezielt nach neuen Produkten, die einerseits zu unseren technologischen Kompetenzen passen und die andererseits unser Angebotssortiment sinnvoll und nachhaltig ergänzen.

Uns ist wichtig: Wir wollen keine Beifahrer sein. Immer zu warten, was die anderen machen, das finde ich zu wenig. Aktuell überlegen wir, weitere Produktionsstrecken zu bauen. Weil wir an Wachstum glauben und weil wir noch mehr Produktion nach Frellstedt holen wollen.

Wir bedanken uns herzlich für das Interview!