Um es vorweg zu nehmen: Hier geht es nicht um die Diskussion, ob weibliche Führungskräfte besser sind als ihre männlichen Kollegen. Denn sowohl die Führungsforschung als auch die Lebenswirklichkeit beweisen uns, dass es weder DIE typisch weibliche noch DIE typisch männliche Führung gibt. Hier geht es vielmehr um die Frage: Was ist gegebenenfalls anders?
Oftmals hilft es den Blickwinkel zu verändern. Deshalb lassen Sie uns die Perspektive derjenigen einnehmen, die geführt werden. In den letzten Jahren hatten wir eine Reihe von politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen. Diese Veränderungen wirken auf jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft. Damit einhergehend haben sich auch die Anforderungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an ihre Führungspersonen verändert. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten mittlerweile von ihren Führungskräften, dass sie die Themen Partizipation, Kooperation, Selbstentfaltung, Teamorientierung sowie Kommunikation in den Fokus ihres Handelns rücken und in ihrem Arbeitsumfeld fördern.
Wenngleich die neuen Anforderungen von Seiten der Geführten sich nicht auf ein Geschlecht beziehen, sondern auf die Art des Führens, wird weiblichen Managern in diversen Studien bescheinigt, dass ihre Führung zumeist auf offenen, beziehungs- und teamorientierten Strukturen basiert. Neben der Aufgabenfokussierung legen sie auf das gemeinsame Miteinander zwischen Führungskraft und Mitarbeitern wert, das sie ebenso unter den Mitarbeitenden fördern. Sie achten daher auf die Stimmung im Team und etablieren demokratische Strukturen. Darüber hinaus gelten sie als verbindlich, einfühlsam und sind in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen. Weibliche Führung gilt als emotional und energiereich. Dies wird auch durch ehrgeizige Zielsetzung und das Erreichen von sehr guten Ergebnissen sichtbar.
Als übergeordnete Ziele der Managerinnen werden oftmals die Kunden- und Mitarbeiterbindung, die individuelle Förderung und Weiterentwicklung aller Mitarbeitenden sowie die Schaffung von optimalen Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie benannt.
In der Praxis sieht das dann so aus, dass die Beziehung zu Mitarbeitenden, Kollegen und Kunden durch kleine Aufmerksamkeiten gepflegt wird. Der Blumenstrauß zum Geburtstag eines Mitarbeiters, die Lieblingsteesorte für die Kollegin, die zum Meeting kommt, oder das Geduldsspiel für einen Kunden, der auf die Fertigstellung eines Auftrags warten musste.
Mitarbeitergespräche sind kein must-do für sie, sondern ein wesentlicher Aspekt bei der individuellen Entwicklung aller Mitarbeitenden in Verbindung mit den Unternehmenszielen. Das führt in manchen Situationen dazu, dass Mitarbeitende für die Übernahme höherwertiger Aufgaben Zuspruch erhalten oder auch erst auf die Idee gebracht werden, einen nächsten Entwicklungsschritt anzustreben.
Frauen, die berufstätig sind, übernehmen oftmals auch die zusätzliche Verantwortung im privaten Umfeld für Haushalt und Familie. Laut Studien sind Frauen eher bereit, über ihre persönlichen Stressfaktoren zu sprechen. Sie äußern ihre Emotionen und suchen soziale Unterstützung von anderen (Frauen). So manches Mal wird dieses Verhalten als Schwäche, Abhängigkeit und Unsicherheit interpretiert.
Doch gerade bei Frauen, die neben ihrer Berufstätigkeit auch in das Familienleben eingebunden sind, wurde in der aktuellen pandemischen Situation deutlich sichtbar, dass es ihnen beim Aufkommen der Krise nicht allein um ihren Job ging. Die oben erwähnte Mehrperspektivität zeichnet Frauen auch in Krisensituationen aus. Sie schauen nicht ausschließlich nur auf sich, sondern betrachten zusätzlich die Auswirkungen auf das Team, den Einzelnen und seine Familie sowie die Kunden. Offenheit, Empathie und Dialogbereitschaft sind dabei wichtige Anker.
Fest steht, wir alle haben in unserem Leben bereits die ein oder andere persönliche Krise erlebt und bewältigt. Die Corona-Pandemie ist jedoch für uns alle eine Krise, die wir in ihrem Ausmaß weder bisher kennengelernt haben noch zum jetzigen Zeitpunkt in vollem Umfang einschätzen können. Daher ist es verständlich, dass Ängste und Unsicherheiten spürbar werden. Der persönliche Umgang mit diesen Auswirkungen variiert. In der Belegschaft eines Unternehmens kann es zu Orientierungslosigkeit, Verringerung der Produktivität, Zunahme von Konflikten, … führen.
Um diese Erscheinungen aufzufangen, bedarf es einer intensiven Kommunikation, die transparent und ehrlich ist. Dazu gehört auch die Bereitschaft, immer wieder in den Dialog zu treten, geduldig und wertschätzend auf die Mitarbeitenden einzugehen und deren Sorgen, Ängste und Probleme wahrzunehmen. Frauen trauen sich, diese Themen anzusprechen und ihnen werden von Seiten der Belegschaft diese Themen auch tendenziell eher anvertraut.
Marie-Christine Ostermann, Geschäftsführerin des Lebensmittelgroßhändlers Rullko, berichtet, dass sie noch nie so viel kommuniziert hat wie in den letzten Wochen.
Jennifer Morgan galt bei SAP als Sympathieträgerin. Zu ihren ausgeprägtesten Kompetenzen sollen ihre Fähigkeit des Zuhörens und die glasklare Analyse von Problemen gehört haben. Zu Beginn der Corona-Krise und kurz vor ihrem Unternehmensaustritt hat sie die Belegschaft mit Empathie und menschlichen Aussagen zum Zusammenhalt in dieser schwierigen Zeit aufgerufen. Von Seiten der Mitarbeitenden wurde ihr dies hoch angerechnet.
Die Belegschaft eines Unternehmens nimmt sehr sensibel wahr, ob das Führungsverhalten authentisch ist oder ob Frau sich einem erwünschten Führungsverhalten von ggf. männlichen Rollen(vor)bildern anpasst.
Ablehnend stehen Frauen etwaigem Kompetenzgerangel und der Verfolgung von Machtinteressen gegenüber. Dies ist in Krisenzeiten völlig fehlplatziert und wird auch von Mitarbeitenden mit Argwohn und Unverständnis wahrgenommen. Denn in der Krise braucht es weder einen einsamen starken Helden noch die alleinige empathische Leitwölfin. Die Belegschaft erwartet Orientierung und verantwortliches Handeln von ihren Führungskräften. Der überwiegend von Frauen präferierte Ansatz der Einbindung und Beteiligung stärkt den Teamzusammenhalt, zeigt das in die Mitarbeitenden gesetzte Vertrauen und fördert die Bereitschaft, sich weiter kreativ und engagiert in eine gemeinsame Lösungsfindung einzubringen.
Daher ist es wohl eher eine Frage der persönlichen Haltung, die die Handlung der Führungskräfte bestimmt.
Auf Ebene der Führungskräfte bedeutet das, sich zusammenzufinden und zu ergänzen. Die aktuellen Anforderungen sind so vielfältig, dass Führungskräfte diese nur gemeinsam stemmen können. Dafür ist es hilfreich und nützlich, dass männliche und weibliche Führungskräfte sich ihres gemeinsamen Potenzials bewusst werden.
Bleiben Sie in dieser Zeit sich selbst und Ihren Mitmenschen zugewandt!
Ines Lindner-Klaeden
Inhaberin von Barbara Bosch & Kollegen