BAG-Entscheidungen nach der Corona-Pandemie
Im Jahr 2024 hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einigen Urteilen mit Rechtsfragen befasst, die ihre tatsächlichen Ursprünge noch in Zeiten der Corona-Pandemie hatten. Einige dieser Urteile dürften auf Arbeitgeberseite für Zufriedenheit gesorgt haben.
So entschied das BAG am 28. Mai 2024 in mehreren Urteilen, dass (nach der bis zum 16.09.2022 geltenden Rechtslage) Urlaubstage durch den Arbeitgeber dem Urlaubskonto nicht wieder gutzuschreiben sind, wenn der Arbeitnehmer, ohne selbst mit dem Corona-Virus infiziert gewesen zu sein, seine Urlaubstage in häuslicher Quarantäne verbringen musste. Eine solche Situation sei (rechtlich) nicht mit einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung während des Urlaubs vergleichbar, so das BAG. In einem dieser Verfahren durften wir eines unserer Mitgliedsunternehmen erfolgreich vor dem Bundesarbeitsgericht vertreten.
Zudem entschied das BAG am 19. Juni 2024 in mehreren Urteilen, dass Arbeitgeber berechtigt gewesen sind ungeimpfte Arbeitnehmer, für die im Bereich Gesundheit und Pflege „Impfpflicht“ bestand, einseitig und unentgeltlich freizustellen; Verzugslohnansprüche dieser Arbeitnehmer bestünden nicht. Auch in einem dieser Fälle konnten wir ein Mitgliedsunternehmen erfolgreich vor dem BAG vertreten, nachdem das Unternehmen vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen noch zur Zahlung von Verzugslohn verurteilt worden war.
Diese positive Rückschau wird jedoch deutlich getrübt durch das Urteil des BAG vom 20.03.2024 (Az. 5 AZR 234/23), an dem zwar keines unser Mitgliedsunternehmen unmittelbar beteiligt war, dessen Fernwirkung jedoch – wie sich aktuell zeigt – eine Vielzahl von Mitgliedsunternehmen betrifft oder betreffen kann.
In diesem Urteil hatte das BAG entschieden, dass (auch) eine symptomlose Infektion mit dem Corona-Virus in Verbindung mit einer Quarantäneanordnung i. d. R. zu einer Arbeitsunfähigkeit i. S. d. Entgeltfortzahlungsgesetzes und damit regelmäßig zu einem Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber führt. Damit wirkt sich dieses Urteil aktuell nahezu ausnahmslos zu Lasten der Unternehmen aus, die noch auf eine behördliche Entschädigungserstattung nach § 56 Abs. 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) warten. Diese erhalten aktuell unter Hinweis auf das vorbenannte Urteil regelmäßig Ablehnungsbescheide auf die von ihnen gestellten Erstattungsanträge oder behördliche Schreiben mit dem Hinweis der Möglichkeit zur Rücknahme von Erstattungsanträgen, um eine in Aussicht gestellte abschlägige behördliche Entscheidung zu vermeiden.
Im Folgenden versuchen wir, die aktuelle Rechts- und Rechtsprechungslage vereinfacht darzustellen:
Entschädigungsanspruch von Quarantäneverpflichteten
Nach § 56 Abs. 1 IfSG erhält eine Entschädigung in Geld „wer auf Grund dieses Gesetzes […] Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet.“ Schickt der Staat also jemanden in Quarantäne und erleidet der Quarantäneverpflichtete dadurch einen Verdienstausfall, so steht dem Quarantäneverpflichteten für diesen Verdienstausfall eine staatliche Entschädigung zu.
Auszahlung durch den Arbeitgeber nebst Erstattungsanspruch gegen den Staat
Ist der Quarantäneverpflichtete Arbeitnehmer, so bestimmt § 56 Abs. 5 IfSG (verkürzt), dass der Arbeitgeber die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen hat und die ausgezahlten Beträge dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet werden. Vor diesem Hintergrund leisteten viele Unternehmer im Falle einer Corona-Quarantäne ihrer Arbeitnehmer weiterhin Zahlungen an diese und beantragten die Erstattung dieser Zahlungen bei der zuständigen Behörde.
Das „Problem“: Subsidiarität des Entschädigungsanspruchs
Spätestens seit 2021 haben mehrere Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte entschieden, dass einem Quarantäneverpflichteten ein staatlicher Entschädigungsanspruch nur dann zusteht, wenn er durch die Absonderung einen Verdienstausfall erleidet (§ 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG: „… und dadurch einen Verdienstausfall erleidet.“); also z. B. einem quarantäneverpflichteten Arbeitnehmer nur dann ein Entschädigungsanspruch gegen den Staat – auszahlbar durch den Arbeitgeber – zusteht, wenn er für die Quarantänezeit keinen anderen vorrangigen Zahlungsanspruch gegen Dritte, z. B. gegen den eigenen Arbeitgeber, hat (Subsidiarität).
Diese Rechtsauffassung wurde in der Entscheidung des BAG vom 20.03.2024 ausdrücklich geteilt.
Arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer haben jedoch regelmäßig einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegen den Arbeitgeber nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFzG). Wer als Arbeitnehmer coronainfiziert war (und seinerzeit deshalb in Quarantäne musste) und die typischen Krankheitszeichen nicht bloß schwachsymptomatisch aufwies, war bereits nach damaliger Erkenntnislage regelmäßig arbeitsunfähig erkrankt i. S. d. EFzG, so dass ihm ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber zustand.
Bei zurzeit wohl wieder steigenden Coronafällen (aktuell ohne Quarantäneverpflichtung) und entsprechend ansteigenden „Krankmeldungen“ wird die rechtliche Pflicht der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung in Fällen nicht bloß schwachsymptomatischer Verläufe aktuell wohl von niemandem infrage gestellt. Die Entgeltfortzahlungssituation zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber war damals jedoch nicht anders als heute, auch nicht durch die seinerzeit hinzutretende Quarantänepflicht.
Aufgrund der Subsidiarität der staatlichen Entschädigungsverpflichtung gegenüber dem seinerzeit quarantänepflichtigen, coronaerkrankten (also infizierten und symptomatischen) Arbeitnehmer im Hinblick auf dessen vorrangigen Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber, stand dem Arbeitnehmer kein Entschädigungsanspruch gegen den Staat zu. Stand dem Arbeitnehmer aber kein – durch den Arbeitgeber ausgezahlter – vermeintlicher Entschädigungsanspruch gegen den Staat zu, kann der Arbeitgeber wohl auch keine Erstattung verlangen, insbesondere wohl auch deshalb nicht, weil der Arbeitgeber durch die Zahlung an den Arbeitnehmer letztlich im Ergebnis bloß seiner Pflicht zur Entgeltfortzahlung nachgekommen ist.
„Neues“ durch das Urteil des BAG vom 20.03.2024
Bei dem Urteil des BAG vom 20.03.2024 ging es nicht unmittelbar um mögliche Erstattungsansprüche eines Arbeitgebers aus § 56 Abs. 5 IfSG gegen den Staat, sondern u. a. um die Frage, ob coronainfizierte – und seinerzeit der Quarantänepflicht unterworfene – Arbeitnehmer auch dann arbeitsunfähig erkrankt i. S. d. EFzG gewesen sind und damit Entgeltfortzahlungsansprüche gegen den Arbeitgeber haben, wenn sie trotz Infektion keine Symptome aufwiesen, es ihnen also eigentlich „gut“ ging.
Dieses hat das BAG bejaht und im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Infektion mit dem Coronavirus sei eine Erkrankung (regelwidriger Körperzustand) i. S. d. EFzG und diese Erkrankung (Infektion) führe regelmäßig zur Unfähigkeit die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, wenn auch nur aufgrund der Quarantäneverpflichtung und dem damit einhergehenden Verbot, den betrieblichen Arbeitsplatz aufzusuchen. Der Arbeitgeber sei daher regelmäßig zur Entgeltfortzahlung auch in solchen symptomlosen Fällen verpflichtet.
Zudem stellte das BAG fest, dass der Absonderungsbescheid (Quarantäneanordnung) regelmäßig ausreichend sei, die zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung i. S. d. EFzG nachzuweisen; zumindest, wenn sich aus dem Absonderungsbescheid ergibt, dass die Quarantäneanordnung aufgrund eines direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 beim Arbeitnehmer erfolgte, also z.B. insbesondere aufgrund eines positiven PCR-Tests.
Änderung der Verwaltungspraxis
Das Urteil des BAG vom 20.03.2024 hatte naturgemäß deutliche Auswirkungen auf die Bescheidung noch offener Erstattungsanträge von Arbeitgebern nach § 56 Abs. 5 IfSG seitens der zuständigen Behörden, war doch eine offene Rechtsfrage geklärt und eine weitere Sachverhaltsaufklärung – symptomatische oder asymptomatische Infektion des Arbeitnehmers – durch die Behörde obsolet.
War der Arbeitnehmer infiziert und symptomatisch, lag regelmäßig eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers wegen Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers vor. War der Arbeitnehmer infiziert und asymptomatisch, lag nach der Klärung im Urteil des BAG vom 20.03.2024 regelmäßig auch eine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers wegen zur Arbeitsunfähigkeit führender Erkrankung vor. War der Arbeitnehmer infiziert und asymptomatisch, konnte (bzw. musste) jedoch aus der Quarantäne heraus seine Arbeitsleistung erbringen (z. B. aus dem Home-Office), hatte der Arbeitnehmer hingegen einen Anspruch auf Zahlung von Lohn (Entgelt) gegen den Arbeitgeber wegen erbrachter Arbeitsleistung.
Wegen der Subsidiarität des staatlichen Entschädigungsanspruchs bestand daher in keinem dieser Fälle ein Anspruch des Arbeitnehmers auf staatliche Entschädigung und entsprechend kein Erstattungsanspruch des Arbeitgebers auf Erstattung.
Welche Fälle bleiben möglicherweise erstattungsrelevant?
Es bleibt deshalb unter Berücksichtigung der aktuellen Rechts- und Rechtsprechungslage wohl nur ein (sehr) kleiner Rest an Sachverhaltskonstellationen, bei denen ein Entschädigungsanspruch seinerzeit quarantäneverpflichteter Arbeitnehmer gegen den Staat möglich erscheint und damit auch ein möglicher Erstattungsanspruch des seinerzeit fortzahlenden Arbeitgebers. Es handelt sich dabei jeweils um Fälle, in denen kein Entgelt(fort)zahlungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber bestand und das Subsidiaritätsprinzip zugunsten des Staates deshalb nicht greift. Sofern ein Arbeitnehmer, ohne selbst (nachgewiesen) infiziert gewesen zu sein, eine Absonderungsverfügung erhalten hat, z. B. weil eine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende Person coronainfiziert war, so liegt beim Arbeitnehmer selbst keine Erkrankung (Infektion) i. S. d. EFzG vor, so dass Entgeltfortzahlungsansprüche nach dem EFzG ausscheiden.
Entschädigungs- und damit erstattungsrelevant könnten auch die Fälle sein, in denen der Arbeitnehmer zwar aufgrund eigener (symptomatischer oder asymptomatischer) Infektion die behördliche Quarantäneanordnung erhalten hat, jedoch auch ohne eigene Infektion aufgrund anderer Umstände ohnehin quarantäneverpflichtet gewesen wäre, z. B. weil auch eine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende Person coronainfiziert war und zu dieser Zeit noch die Regelungen zur „Kontaktquarantäne“ galten. Hier könnte ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung nach dem EFzG wegen des Erfordernisses der sog. Monokausalität ausscheiden. Dem stehen die Ausführungen des BAG in seinem Urteil vom 20.03.2024 zur Monokausalität nicht entgegen. Jedoch dürften die Kenntnis über entsprechende Sachverhaltskonstellationen beim Arbeitgeber häufig nicht vorhanden sein.
Zu prüfen bleibt zudem stets, ob dem Arbeitnehmer auch in Fällen mangelnder Entgeltfortzahlungsansprüche nach dem EFzG Entgeltfortzahlungsansprüche aufgrund anderer Rechtsvorschriften gegen den Arbeitgeber zustehen, insbesondere aus § 616 BGB.
Sofern § 616 BGB aufgrund arbeitsvertraglicher Regelung ausgeschlossen oder eingeschränkt ist, besteht auch aus § 616 BGB kein Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber. Findet § 616 BGB hingegen grundsätzlich uneingeschränkt Anwendung auf das Arbeitsverhältnis, so dürfte sich ein Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber regelmäßig zumindest aus dieser Regelung ergeben, nachdem das OVG NRW (Münster) im Urteil vom 10.03.2023 (Az.: 18 A 563/22) festgestellt hat, dass trotz einer stets notwendigen Einzelfallbetrachtung ein Zeitraum von bis zu 6 Wochen im Fall einer Quarantäne eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ i. S. v. § 616 BGB sei.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass insbesondere Fälle, in denen eine Quarantäne für den Arbeitnehmer angeordnet wurde,
– weil dieser Kontakt zu infizierten Personen hatte oder
– weil er selbst (nachgewiesen) infiziert war, er jedoch zu dieser Zeit aufgrund Kontakts zu infizierten Personen aufgrund der seinerzeitigen Rechtslage ohnehin einer Kontaktquarantäne unterworfen worden wäre, besonderen Anlass für eine Überprüfung eines ablehnenden Erstattungsbescheides geben könnten, insbesondere wenn die Regelung aus § 616 BGB arbeitsvertraglich abbedungen oder eingeschränkt ist. Auch bei unklarer Infektionslage, z. B. dem Fehlen eines positiven PCR-Tests nach positivem Antigen-Test und dennoch angeordneter Quarantäne, könnte eine genauere Prüfung sinnvoll sein.
Was kann man tun?
Sofern Unternehmen seitens der Behörden abschlägige Bescheide auf gestellte Erstattungsanträge erhalten, besteht für die Unternehmen die Möglichkeit innerhalb einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des Bescheides Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht zu erheben. Anderenfalls wird der Ablehnungsbescheid bestandskräftig.
Welche Risiken „lauern“ im Fall einer Klageerhebung?
In erster Linie Kostenrisiken. Anders als in arbeitsgerichtlichen Verfahren erster Instanz besteht in verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch alle Instanzen volle Kostentragungspflicht der im Prozess unterlegenen Partei und zwar sowohl hinsichtlich der (noch relativ geringen) Gerichtskosten als auch der (höheren) ggf. anfallenden Rechtsanwaltskosten der Gegenpartei. Dabei kann zwar erwartet werden, dass sich das im Falle einer Klageerhebung zu verklagende Land Niedersachsen in erster Instanz noch nicht anwaltlich vertreten lässt, gesichert ist das aber nicht. Zudem dürften sich solche Verfahren, sollte es nicht zu einem Musterverfahren kommen, durch mehrere Instanzen ziehen.
Es sollte deshalb durch das Unternehmen abgewogen werden, ob die Erhebung von Klagen – ggf. durch unseren Verband nach entsprechender Mandatierung seitens des Mitgliedsunternehmens – vor dem Hintergrund der aktuell bestenfalls unklaren bis schwierigen Erfolgsaussichten, der Kostenrisiken und der Höhe der einzelnen streitigen Entschädigungszahlung dem Unternehmen sinnvoll erscheint.