AGV-Newsletter 05|25: Wissensmanagement im Unternehmen

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27.05.2025

Warum der Transfer von Wissen gerade heute so wichtig ist:

Wir leben in einer Zeit, in der Wissen nicht mehr nur ein Vorteil ist – es ist der entscheidende Wettbewerbsfaktor. Unternehmen stehen vor Herausforderungen wie dem demografischen Wandel, Fachkräftemangel und einer immer schnelleren Innovationsgeschwindigkeit. Das bedeutet: Wenn wir Wissen nicht systematisch managen und weitergeben, entsteht eine gefährliche Lücke zwischen dem, was ein Unternehmen kann, und dem, was es können müsste. Wir haben über dieses Thema mit einer Expertin 

Julia Kuschel-Maricek, gibt es hier vielleicht ein Beispiel?

Viele Unternehmen setzen auf Technologie, um ihr Wissen zu sichern, doch dabei wird oft übersehen, dass es nicht ausreicht, Informationen in eine Datenbank zu packen. Wissen ist nicht nur Daten – es ist Kontext, Erfahrung und Austausch. Wenn wir Wissenstransfer nicht aktiv gestalten, entstehen Wissenssilos, Mitarbeitende arbeiten ineffizienter, und kritische Erfahrungen gehen verloren.
Besonders spürbar ist das in Bereichen mit hoher Fluktuation. Bei unserer Arbeit sehen wir täglich, dass bei Unternehmen die Wissenstransfer nicht gezielt anregen, Projekte verzögert sind, Fehler doppelt gemacht werden, neue Mitarbeitende oft Monate brauchen, um wirklich produktiv zu werden. Die Stimmung zwischen und in den Teams ist vergleichsweise schlecht. Gleichzeitig beobachten wir aber auch eine Überforderung. Es gibt mehr Wissen als je zuvor, aber wie nutzen wir es richtig? Ein Beispiel sind moderne KI-gestützte Systeme, die zwar helfen können, Wissen zu strukturieren, aber nicht automatisch dafür sorgen, dass es auch geteilt oder verstanden wird. Für uns ist das beste Wissensmanagement das, das sich in den Alltag integriert – durch praktische, erprobte Methoden oder gezielte Wissenssicherungsprozesse.
Wenn wir also über die Zukunft von Unternehmen sprechen, müssen wir nicht nur über Technologie, sondern über eine neue Wissenskultur sprechen. Eine Kultur, in der Wissen nicht nur erfasst, sondern auch aktiv gelebt, weitergegeben und gemeinsam weiterentwickelt wird.

Julia Kuschel-Maricek

Sie sprechen von einem Wissenszyklus und einem sogenannten 7-Stufen-Modell. Was genau ist das?

Der Wissenszyklus beschreibt einen einfachen, aber wirkungsvollen Prozess, um Wissen in Unternehmen gezielt zu erfassen, zu strukturieren und nachhaltig zu nutzen. Er umfasst sieben Schritte, die sicherstellen, dass Wissen nicht nur gesammelt, sondern auch sinnvoll weitergegeben und angewendet wird. Wir haben damit das Rad nicht neu erfunden – aber der Zyklus macht sichtbar, welche Schritte im Unternehmen wirklich entscheidend sind, damit Wissenstransfer funktioniert und nicht dem Zufall überlassen wird. In vielen Organisationen bleibt Wissen in Köpfen hängen, wird nur punktuell dokumentiert oder nicht aktiv genutzt. Der Wissenszyklus hilft, genau diese Lücken zu schließen.
Sein größter Vorteil? Er ist praktisch umsetzbar. Unternehmen müssen keine komplexen Systeme einführen, sondern können direkt an bestehenden Strukturen ansetzen. Das Modell gibt eine klare Orientierung, wo es in der Praxis oft hakt.

Nutzen Unternehmen das Wissen ihrer Mitarbeiter zu wenig effektiv?

Ja, das sehen wir in vielen Organisationen. Ein großes Problem ist, dass Wissen zwar vorhanden ist, aber nicht richtig genutzt wird. Um dies zu verdeutlichen ist es am einfachsten ein paar Szenarien aufzuzeigen. Diese machen es besonders deutlich:

  • Wissen bleibt implizit: Mitarbeitende haben viel Erfahrung, aber es gibt keine Plattformen oder Strukturen, um dieses Wissen zu teilen.
  • Wissen wird nicht gefunden: Unternehmen haben Wissensdatenbanken, aber sie sind unübersichtlich oder nicht an den Arbeitsalltag angepasst. Häufig passiert, dass die Verschlagwortung nicht gut ist, Inhalte doppelt vorhanden sind oder nicht klar ist, welches Wissen nun für die eigene Frage relevant ist.
  • Die Frage nach dem “Was suche ich eigentlich” und Hemmungen: In vielen Fällen wissen Menschen gar nicht nach welcher Information sie suchen oder suchen müssen. Sucht ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiter bei einer Frage nach einer Person, die eine spezifische Information hat, nach einer geschriebenen Information, einer Schulung, einer Präsentation, einem E-Learning oder einer Veranstaltung? Vielleicht gibt es auch noch keine Antwort auf die eigene Frage, weil diese noch nicht bedacht oder gestellt wurde. Alleine die Frage nach dem “Was suche ich eigentlich?” bringt so viele neue Fragen, dass Mitarbeitende bei der Suche gehemmt werden und in dem
    Dschungel der Informationsflut untergehen. 
  • Wissen muss niederschwellig zugänglich sein: Unternehmen benötigen einfach verständliche und leicht zugängliche Informationen. Dies fällt Unternehmen jedoch besonders schwer, weil ein Perspektivwechsel stattfinden muss. Der Ersteller des Wissens muss sich also in den Nutzer des Wissens hineinversetzen ohne diesen zu kennen. Gar nicht so einfach!
  • Wissen wird nicht reflektiert: Nur weil Wissen da ist, heißt es nicht, dass es auch optimal genutzt wird. Beispiel: Ein Vertriebsteam nutzt jahrelang dieselbe Verkaufsstrategie, obwohl Marktdaten längst zeigen, dass ein anderes Vorgehen erfolgreicher wäre.
  • Wir wissen gar nicht, was wir alles wissen: Wenn wir Dinge tagtäglich tun, fühlt es sich nicht mehr so relevant an, wie es für den Wissensempfänger ist.

Ein positiver Ausblick. Für all diese Szenarien gibt es Methoden und Strategien, um Wissen effektiv zu nutzen und zugänglich zu machen.

Geht ihrer Meinung nach zu viel Wissen verloren? Oder ist das Gegenteil der Fall?

Tatsächlich beides! Unternehmen verlieren wertvolles Wissen durch unzureichenden Wissenstransfer, z. B. wenn Fachkräfte in Rente gehen oder Mitarbeitende das Unternehmen verlassen. Besonders betroffen sind hochspezialisierte Branchen wie der Maschinenbau oder die IT.
Gleichzeitig gibt es eine regelrechte Informationsflut, die es schwer macht, das wirklich relevante Wissen zu finden.
Ein gutes Beispiel ist das Thema Onboarding. Viele Unternehmen überladen neue Mitarbeitende mit Informationen, aber oft fehlt die Struktur, um das Gelernte sinnvoll in die Praxis umzusetzen. Die Unternehmen mit den besten Onboarding Strategien setzen hierbei beispielsweise auf eine Mischung aus Microlearning, Peer-Mentoring und On-the-Job-Training, um Wissen gezielt und in kleinen Schritten zu vermitteln.

Sie sagen: Blended Learning ist die Zukunft, was versteht man darunter?

Blended Learning ist kein völlig neues Konzept, aber es bleibt eine der effektivsten und am einfachsten umsetzbaren Methoden, um nachhaltiges Lernen im Unternehmen zu ermöglichen. Es beschreibt die Kombination verschiedener Lernformate – digitale und analoge –, um Wissen gezielt zu vermitteln. Dabei geht es nicht darum, dass Online- oder Präsenzlernen „besser“ oder „schlechter“ ist, sondern darum, wie Unternehmen ihre Schulungen so gestalten, dass sie praxisnah, flexibel und nachhaltig sind.
Was Blended Learning so stark macht, ist nicht Innovation, sondern die praktische Umsetzbarkeit. Während Zukunftsthemen wie KI-gestütztes Lernen, Virtual Reality oder adaptive Lernsysteme noch oft in der Pilotphase stecken, bietet Blended Learning bereits heute einen klaren Mehrwert mit geringem Implementierungsaufwand.
Unternehmen brauchen nicht die neueste Technologie, sondern eine sinnvolle Kombination aus Theorie und Praxis, die sich in den Arbeitsalltag integrieren lässt.

Beispiele sind: 

  • Online-Module für die Grundlagen, damit alle auf demselben Wissensstand starten.*
  • Praxisprojekte oder interaktive Workshops, um Wissen direkt anzuwenden. 
  • Begleitete Lernphasen & Reflexion, damit das Gelernte nachhaltig verankert wird.

Zukunftsfrage: Schafft sich menschliches Wissen durch KI ab?

KI verändert, wie Wissen verwaltet, genutzt und generiert wird, aber sie ersetzt es nicht – im Gegenteil, sie macht es in vielen Bereichen noch relevanter. Denn während KI große Datenmengen analysieren, Muster erkennen und Vorschläge machen kann, braucht es immer noch den Menschen, um Informationen zu verifizieren, einzuordnen und sinnvoll zu nutzen. Das bedeutet: Die Art des benötigten Wissens verändert sich. In einer Welt, in der KI zunehmend Routineaufgaben übernimmt, müssen wir uns stärker auf kritisches Denken, Problemlösung und kreative Prozesse konzentrieren. KI liefert uns Informationen, aber die Verantwortung liegt weiterhin bei den Menschen, diese zu bewerten und korrekt anzuwenden.

Ein gutes Beispiel ist das Thema Medienkompetenz. Wir vergleichen KI gerne mit sozialen Medien: Diese haben unsere Kommunikation und Arbeitsweise revolutioniert, doch gleichzeitig gibt es große Defizite in der Nutzung – von Fake News bis hin zu Fehleinschätzungen durch mangelndes Kontextwissen. Ähnlich verhält es sich mit KI: Wer KI-gestützte Informationen unreflektiert übernimmt, riskiert Fehlentscheidungen.
Deshalb brauchen wir eine neue Art der Wissenskompetenz, die sich darauf konzentriert, KI nicht als „Wissensquelle“ zu betrachten, sondern als ein Werkzeug zur Unterstützung menschlichen Wissens. Unternehmen müssen sicherstellen, dass Mitarbeitende nicht nur die richtigen Informationen finden, sondern auch lernen, die Qualität und Richtigkeit dieser Informationen einzuschätzen.

Letztlich geht es nicht darum, ob KI menschliches Wissen „abschafft“, sondern wie wir unser Wissen anpassen, um mit KI sinnvoll zu arbeiten. Denn nur, wenn wir verstehen, wie KI funktioniert und wo ihre Grenzen liegen, können wir sie wirklich intelligent nutzen.

Welche besondere Rolle spielen Führungskräfte in Unternehmen, dass Wissensmanagement erfolgreich ist und bleibt? 

Führungskräfte sind die zentralen Akteure im Wissensmanagement – nicht, weil sie selbst alles wissen müssen, sondern weil sie den Rahmen für den Wissensaustausch in ihren Teams gestalten. Sie entscheiden, ob Wissen geteilt oder gehortet wird, ob neue Mitarbeitende schnell handlungsfähig sind oder monatelang nach relevanten Informationen suchen, ob wertvolles Erfahrungswissen erhalten bleibt oder mit ausscheidenden Mitarbeitenden verloren geht. Doch genau hier liegt das Problem: Viele Führungskräfte sehen Wissenstransfer nicht als Teil ihrer Verantwortung oder es fehlt ihnen an konkreten Werkzeugen, um ihn aktiv zu gestalten. Es gibt kein klares Bewusstsein darüber, dass Wissensmanagement nicht nur ein IT-Thema oder eine Frage der Unternehmenskultur ist, sondern eine zentrale Führungsaufgabe.

Wir erleben es immer wieder: Unternehmen setzen auf Digitalisierung, um Wissen zu sichern, aber ohne die richtige Führung bleibt es ungenutzt. Gleichzeitig unterschätzen viele, wie stark ihr eigenes Verhalten den Umgang mit Wissen prägt. Wer Wissen nur als Mittel zur Steuerung von Mitarbeitenden betrachtet, fördert keine nachhaltige Wissenskultur. Wer kein Vertrauen in seine Mitarbeitenden hat, wird auch kein Wissen weitergeben. Besonders in Zeiten des Generationenwechsels wird das spürbar. Erfahrene Mitarbeitende haben Wissen, das für die Zukunft des Unternehmens entscheidend ist, doch oft fehlt es an strukturierten Prozessen und einer klaren Verantwortung der Führungskräfte, um dieses Wissen nachhaltig zu übertragen. Wissenssicherung darf kein Zufallsprodukt sein.

Wir setzen uns dafür ein, dass Führungskräfte nicht nur ihre eigene Rolle im Wissensmanagement erkennen, sondern auch die richtigen Methoden, Denkweisen und Strukturen an die Hand bekommen, um Wissen gezielt zu sichern und weiterzugeben.

Vielen Dank Julia für das Gespräch! Weitere Infos zum Thema Wissensmanagement auf wissenswald.com.