Zu Beginn jedes Jahres veröffentlicht der Bundesverband der Personalmanager:innen (BPM) seinen aktuellen HR-Forecast: Was sind die bestimmenden Themen der Personalarbeit für das beginnende Jahr? Welche Stimme haben die Personalbereiche im Konzert der Unternehmensfunktionen? Und wie sehen die langfristigen Linien für die Evolution von HR aus?
Deutschland am Scheideweg: Die Industrie wandert ab, das Handwerk darbt und die Tech-Firmen meiden Deutschland. Wir brauchen ein neues volkswirtschaftliches Zielbild
Die Industrie verlässt Deutschland und Europa. Seit 2020 sind über 200.000 industrielle Arbeitsplätze in Deutschland verloren gegangen – viele davon ans Ausland. Besonders stark betroffen sind die Automobil- und die Chemieindustrie. Diese Entwicklung bedroht unseren Wohlstand, trägt die Industrie doch rund 20 Prozent zur gesamten Wertschöpfung der Volkswirtschaft bei. Doch gerade im Umfeld industrieller Zentren ergeben sich auch neue Chancen für das vom Fachkräftemangel geplagte Handwerk, dem aktuell knapp 65.000 Fachkräfte fehlen. Und auch für so manchen Hidden Champion aus der Tech-Branche (aktuell 149.000 unbesetzte IT-Stellen) sowie in der hochqualifizierten Wissensarbeit entstehen positive Potenziale, die aber vielfach aufgrund überbordender Bürokratie nicht genutzt werden können.
Das Problem unseres Landes liegt weniger im Strukturwandel, sondern in der Ziellosigkeit der Entwicklung. Uns fehlt ein Zukunftsfoto davon, was nach Braunkohle, Blech und Stahl im Zentrum unserer Wertschöpfung und damit unseres Wohlstandes stehen soll. Im Jahr 2025 droht deswegen eine negative Ambidextrie: Wir beschleunigen den Niedergang des Bestehenden durch vermeidbare Kostenaufwüchse, unnötige Bürokratie und politische Unschlüssigkeit. Gleichzeitig sind wir ohne ein Orientierung gebendes Zielbild nicht in der Lage, nachhaltig und zukunftsgerichtet zu investieren.
Als Personalmanager*innen beherrschen wir das Feld der Workforce Transformation. Wir können Umbrüche am Arbeitsmarkt moderieren und mit Mitarbeitenden neue Skillsets aufbauen. Die gesellschaftliche und politische Zielbestimmung für unseren zukünftigen Wohlstand muss aber in breiteren Allianzen geschmiedet werden. Wir sind zum Dialog bereit.
Kommt nach einem langen KI-Winter nun die Hochzeit im Himmel oder eine Eiszeit der selbstbestimmten Arbeit? Fest steht: Wir müssen massiv in People- und Behaviour-Themen investieren.
Die Künstliche Intelligenz ist Extreme gewöhnt: Viele Jahre lang befand sie sich entweder im überhitzten Hype Cycle oder sie wurde im Kühlregal geparkt. Nun sind produktive Kl-Anwendungen fast überall in der Arbeitswelt verfügbar. Prognosen sagen eine Steigerung der menschlichen Arbeitsproduktivität um 20-30 Prozent voraus. Utopie und Dystopie liegen hier nah beieinander: Mehr Wohlstand bei weniger Arbeitsleid oder grassierende Arbeitslosigkeit und Machtübernahme durch die Maschinen?
Als Bundesverband der Personalmanager*innen plädieren wir auch im KI-Zeitalter für eine konsequent menschenorientierte Technologieauslegung. Das heißt: Im Zweifelsfalle entscheidet der Mensch, nicht die Maschine. Dieser Prozess ist angesichts immer komplexerer Algorithmen höchst anspruchsvoll und verlangt einem Großteil der Beschäftigten gänzlich neue Fähigkeiten ab. So müssen laut Studien bis 2030 etwa 55 Prozent der Arbeitskräfte in Deutschland neue technische Fähigkeiten, vor allem im Bereich Künstlicher Intelligenz, erwerben.
Der erhoffte Produktivitätsschub durch KI ist im Jahr 2025 aus Sicht des Bundesverbands der Personalmanager*innen weniger ein Technologie- als ein Peoplethema. In den Unternehmen sind wir aufgerufen, die Einführung von KI-Technologien sorgfältig vorzubereiten und den Beschäftigten Ängste vor Arbeitsplatzverlust und Entwertung der eigenen Qualifikation zu nehmen. Wir sind in der Pflicht, breite Qualifizierungs- und Upskillingangebote im Bereich der neuen Technologien zu machen. Umgekehrt gilt aber auch: Fördern und Fordern sind zwei Seiten derselben Medaille. Jeder Mitarbeitende ist aufgerufen, sich in einer Zeit rasanten technologischen Wandels um seine eigene Employability zu kümmern. Auch wenn wir als Personaler*innen diesen Prozess bestmöglich flankieren: Es weht der kalte Wind der Selbstverantwortung.
Workforce Transformation anders als gedacht: Facharbeiter*innen sind Mangelware, dafür geht es vielen White-Collar-Professionen an den Kragen
Jahrzehnte lang schien die Automatisierung und Robotisierung vor allem „Handarbeiter“ zu bedrohen, während die Wissensarbeit als sicher vor Substitution erschien. Im Jahr 2025 zeigt sich in Deutschland ein anderes Bild. Während qualifizierte Handwerker*innen händeringend gesucht werden, überrascht uns die KI immer wieder mit neuen Potenzialen im Bereich Legal, Finance & HR. Die Effekte hiervon werden zurzeit erstmalig deutlich sichtbar: In fast allen großen Unternehmen werden die traditionellen Verwaltungen umgekrempelt und stark verschlankt. Tätigkeiten der Wissensarbeit werden immer mehr in Shared Services in Niedriglohnländern verlagert.
Nur so ist das Paradoxon zu erklären, dass es inmitten des überall spürbaren Fachkräftemangels aktuell zu größerem Personalabbau kommt: Traditionelle Verwaltungseliten verschwinden nach und nach aus den Unternehmen, oftmals jüngere Techeliten ziehen in sie ein. Die Techanteile in allen Berufsfamilien steigen und es kommt zu einem neuen Kompetenzmix für einen Großteil der Mitarbeiter*innen.
Als Personalmanager*innen wollen wir diesen Umbauprozess moderieren und für einen sozialverträglichen Wandel sorgen. Mit einer Studie wollen wir als Verband 2025 zunächst den bislang nicht beschriebenen Wandlungsprozess in den Zentralverwaltungen der deutschen Corporates analysieren. In unseren Organisationen bauen wir die strategische Personalplanung systematisch aus und passen diese auf die Fragen der Gegenwart an. Mit Empfehlungen zum künftigen Kompetenzmix tragen wir zur erfolgreichen Transformation eines wichtigen Teilbereichs der deutschen Wirtschaft bei. Und als Sparringpartner*innen der Fachbereiche und Business Units stehen wir konzeptionell-beratend zur Verfügung.
Brothers in arms oder erklärte Antipoden: Warum sich 2025 die künftige Rollenverteilung zwischen HR & IT entscheiden wird
Die HR-Funktion hatte viele Jahre lang einen unschlagbaren Vorteil: Personaler*innen waren physisch im gesamten Unternehmen präsent und konnten entsprechend struktur- und formgebend wirken. Seit einigen Jahren läuft die IT den Personaler*innen den Rang als strukturgebende Instanz ab – noch dazu, ohne einen einzigen Mitarbeitenden in entlegene Unternehmensteile zu entsenden. Damit stellt sich im Jahr 2025 verschärft die Frage, wer die Hoheit über die Struktur- und Prozessorganisation hat.
Wir im Bundesverband der Personalmanager*innen haben hierzu eine klare Meinung: HR und IT gehören zusammen. Moderne IT-Strukturen erlauben uns den flächendeckenden Rollout standardisierter Prozesse und Tools. Aufgabe von HR ist es, rechtskonforme und einfache Prozessarchitekturen zu designen. Die Sicherstellung einer guten Employee Experience ist dann wieder Verantwortung beider Seiten. So haben wir die Chance auch im digitalen Raum moderne und zukunftsweisende Arbeitswelten zu schaffen.
Lassen wir also die alten Diskussionen um die Frage, wer Koch und wer Kellner ist, hinter uns und gestalten wir gemeinsam die zukunftsweisenden Strukturen von morgen. Dies erfordert neue Formen der Zusammenarbeit – mit cross- funktionalen Teams in der Linien- und in der Projektorganisation und einer Kollaboration auf Augenhöhe. Auch wenn die Professionen HR und IT manchmal sehr unterschiedliche Sprachen sprechen: Wir im Bundesverband der Personalmanager*innen freuen uns 2025 auf produktive Reibung.
Katalysator Kultur: In 2025 wird HR Effizienz in den Fokus nehmen, doch die Investitionen der vergangenen Jahre in Leadership und Kultur müssen fortgesetzt werden
Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in eine Effizienzmaschine verwandelt – so die Übertragung einer berühmten Erzählung auf die Situation der Personalfunktion. Wir in HR haben in den letzten 15 Jahren für eine menschenzentrierte Arbeitswelt, für moderne Organisationsdesigns und eine ausgewogene Balance von Privatem und Beruf gekämpft. Nun befinden wir uns vielerorts inmitten von Jobabbau, Arbeitsverdichtung und hartem Spardruck.
Kippt HR jetzt von einem Extrem ins andere? Als Bundesverband der Personalmanager*innen stellen wir uns der wirtschaftlichen Realität und den Strukturproblemen in den europäischen Volkswirtschaften. Wir stellen aber auch fest: Unsere Investitionen in moderne Zusammenarbeitsformen, zukunftsweisende Bürowelten und neue Ansätze der Führung in den vergangenen Jahren waren nicht vergebens, sondern sind der Saatboden für den Weg in die Zukunft in und nach der aktuellen Krise. Deswegen setzen wir uns auf allen Ebenen dafür ein, kulturelle Innovationen auch in Zeiten knapper Budgets mit Augenmaß fortzusetzen.
Um Zukunft zu gewinnen, werden wir 2025 vieles, aber beileibe nicht alles auf den Prüfstand stellen. Mit Sorge beobachten wir großflächige Einstellungsstopps in vielen Unternehmen und Organisationen. Gerade mit Blick auf spezifische Talentgruppen und nachwachsende Generationen sehen wir nicht nur ein entstehendes Gerechtigkeitsproblem, sondern auch eine drohende Überalterung in den Institutionen. Auch in der aktuellen Situation setzt sich der BPM für Bedingungen ein, die es Organisationen ermöglichen, Chancengerechtigkeit zwischen diversen Talentgruppen und Alterskohorten herzustellen.
In einem Land vor unserer Zeit: Was wurde eigentlich aus den Basic Workern, die uns in der Corona-Zeit so wichtig waren?
Es war ein zu kurzer Moment der Wertschätzung, den wir inmitten der Corona-Pandemie den so genannten Basis-Arbeiter*innen zugebilligt haben. Dabei zeigt sich gerade in einer alternden Gesellschaft wie dringend wir Menschen brauchen, die sich für körperliche Arbeit – auch in der Nacht, bei Kälte oder Regen und unter hohem Zeitdruck – nicht zu schade sind. Denn wie würde unser Leben ohne den Kurierfahrer, den Bahnhofsreiniger und die Pflegekraft aus Mittel-Ost-Europa aussehen?
Als Personalmanager*innen haben wir in unseren Unternehmen und Organisationen ausgeklügelte Wege der Personalentwicklung implementiert, hochdifferenzierte Entgeltsysteme auf den Weg gebracht und die Personaldiagnostik zu neuen Höhen geführt. Doch fragen wir uns im Alltag, in welchem Schichtsystem der Krankenhauspförtner arbeitet und was die Supermarktkassiererin am Monatsende netto auf dem Konto hat?
Als Bundesverband der Personalmanager*innen stehen wir für einen nachhaltigen
Umgang mit dem Arbeitsvermögen und den Ressourcen von allen Menschen – unabhängig von Bildungsstand, sozialer Herkunft, nationaler Abstammung und Glaubensrichtung. Wir fordern die verbesserte Anerkennung von Berufsabschlüssen und befürworten eine zielgeleitete Migration auch in einfache Tätigkeiten. Der aktuellen gesellschaftspolitischen Polarisierung rund um identitäre, soziale und ethnische Fragen treten wir entschieden entgegen. Gerade mit Blick auf den aktuellen Nah-Ost-Konflikt und die damit einhergehenden Spannungen in deutschen Unternehmen, Bildungseinrichtungen und öffentlichen Organisationen plädieren wir für eine strikt universalistische Haltung, die Menschenrechte und Meinungsfreiheit – aber eben auch das Recht auf eine andere Meinung- in den Mittelpunkt stellt.