Nach unseren Informationen und denen des BGA scheint sich die Bundesregierung intern darauf einzustellen, dass in dieser Legislaturperiode das Thema „Neuregelung der Arbeitszeiterfassung“ nicht mehr ernsthaft verfolgt wird. Obwohl zunächst im Frühjahr und dann zum Sommer ein Referentenentwurf und eine Kabinettsbefassung mit dem Thema angekündigt waren, taucht die Arbeitszeiterfassung bisher weder auf den Kabinettsthemenlisten noch in der Vorhabenübersicht des BMAS auf.
Hintergrund ist, dass nach einem im April inoffiziell geleakten Entwurf die FDP durch Bundesfinanzminister Christian Lindner einen Brief an die Bundesregierung verfasst hat, in dem die FDP als Regierungspartner auf die Einhaltung der Vereinbarungen des Koalitionsvertrags besteht – also eine Einigung bei der Neuregelung der Arbeitszeiterfassung nur bei Schutz der Vertrauensarbeitszeit und gleichzeitiger Ausweitung der Arbeitszeitflexibilität.
Diese Einschätzung ändert sich auch nicht dadurch, dass am 9. Oktober 2023 die öffentliche Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales zu Anträgen der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion Die Linke zum Thema Arbeitszeiterfassung stattgefunden hat.
Die Anhörung hat nach Einschätzung der BDA noch einmal deutlich gemacht, wie weit die Positionen der Sozialpartner auseinanderliegen. Als Sachverständige konnte die BDA auf die aus ihrer Sicht wichtigsten Forderungen eingehen, wie die Spielräume der europäischen Arbeitszeitrichtlinie durch eine Umstellung auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit und die Aufnahme einer weitgehenden Tariföffnungsklausel zur Ruhezeit zu nutzen. Außerdem müsse die Vertrauensarbeitszeit als wichtiges Instrument betrieblicher Praxis unverändert erhalten bleiben und ein Eingriff in Arbeitsverträge vermieden werden.
Hier wird die Anhörung nachgezeichnet.
Es bleibt also bis auf weiteres dabei, dass nach dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.09.2022 (Az.: 1 ABR 22/21) zur Arbeitszeiterfassung die Arbeitszeiten grundsätzlich zwar erfasst werden müssen, viele Detailfragen dazu aber noch nicht abschließend geklärt sind und eine dringend erforderliche gesetzgeberische Klarstellung leider nicht in Sicht ist. Die Folgen der BAG-Entscheidung haben wir in Folge 50 von Arbeitsrecht am Morgen vom 09.02.2023 näher beleuchtet. U.a. haben wir darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz, aus dem das BAG die Arbeitszeiterfassungspflicht herleitet, nicht unmittelbar bußgeldbewährt ist und keine Ordnungswidrigkeit darstellt. Die zuständige Behörde muss, um ein Bußgeld verhängen zu können, zunächst anordnen, dass die Arbeitszeit im Betrieb erfasst werden soll (§ 22 Abs. 3 ArbSchG). Erst wenn einer entsprechenden Anordnung einer Arbeitsschutzbehörde nicht Folge geleistet wird, drohen Geldbußen.
Die entsprechende Passage auf S. 54 des Koalitionsvertrages, auf die sich der Brief von Christian Lindner bezieht, lautet:
„Um auf die Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren und die Wünsche von Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Unternehmen nach einer flexibleren Arbeitszeit-gestaltung aufzugreifen, wollen wir Gewerkschaften und Arbeitgeber dabei unterstützen, flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. Wir halten am Grundsatz des 8-Stunden-Tages im Arbeitszeitgesetz fest. Im Rahmen einer im Jahre 2022 zu treffenden, befristeten Regelung mit Evaluationsklausel werden wir es ermöglichen, dass im Rahmen von Tarifverträgen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Außerdem wollen wir eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, auf Grund von Tarifverträgen, dies vorsehen (Experimentierräume). Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“
Diese von der FDP geforderte Paketlösung stößt jedoch auf den klaren Widerstand der DGB-Gewerkschaften. Diese wollen erstens keine Regelung im Arbeitszeitgesetz, sondern nur im Arbeitsschutzgesetz. Und zweitens wird jede Abweichung von der Tageshöchstarbeitszeit von Gewerkschaftsseite abgelehnt. Hierin sind sich alle Gewerkschaften einig und haben dies auch dem BMAS gegenüber deutlich gemacht. Die Ablehnung geht sogar so weit, dass die IG Metall auf Ihrem bevorstehenden Bundeskongress einen Beschluss fassen lassen will, mit dem Ausweitungen des Arbeitszeitgesetzes oder sog. Experimentierräume ausgeschlossen werden sollen. Sollte dieser Beschluss angenommen werden, wären dem Bundesarbeitsministerium faktisch die Hände gebunden, da es nicht gegen den expliziten Wunsch der Gewerkschaften agieren wird. Stattdessen scheinen sich zumindest die Industriegewerkschaften nun eher in einzelnen Unternehmen auf die Möglichkeit der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung durch ein Initiativrecht für Betriebsräte zu konzentrieren, dass ein Beschluss des LAG München vom 22. Mai 2023 (LAG München Beschl. v. 22.5.2023 – 4 TaBV 24/23) einräumt.
Eine politische Befassung mit der Arbeitszeiterfassung oder auch der Arbeitszeitflexibilität ist vorerst also nicht in Sicht. Dennoch werden wir AGV-seitig dieses Thema natürlich weiter aufmerksam beobachten und Sie über die aktuellen Entwicklungen informieren.